2146.

[2019] Mel. Wie schön leuchtet der etc.


1.

Wie ist mirs doch so innig wohl in meinem kämmerlein so hohl, darein ich bin verschlossen, es sieht so schön, so blutig aus, es ist das rothe wuden-haus; man wird ganz überflossen. O wie ist hie einer seele in der höle! welch vergnügen ist nicht das in wunden liegen!

2.

Ich küsse dieses lenden-loch; doch sehe ich vier andre noch, vier roth und blaue wunden; sie sind vom nägel-schlag geritzt: ihr strahlen, die ihr daher blitzt, habt mir mein herz gebunden. Wer kan den mann recht beschreiben? Es mag bleiben, bis wir gehen, und ihn, wie dort Thomas, sehen.

3.

Indessen liebt man unbesehn, es kan doch was im geist geschehn, das sehn und greiffen werth ist: und wenn wir ihn denn leiblich sehn, und seine wunden küssen gehn, wies uns gewiß beschert ist, werden heerden sich da setzen, und ihn netzen mit so thränen, wie vordem die Magdalenen.

4.

Im geiste küß ich inniglich die hand des Lamms; sie segnet mich; ich bin ihr anvertrauet; sie führet mich, wohin ich soll, und nebenher gehn deucht mich wol, bis ihn mein auge schauet: und ihr seyd mir doch so schöne[2019] souveraine, unverbunden, obgleich unsichtbare wunden.

5.

Die sinnen werden uns vergehn, wenn wir das Lämmlein sichtbar sehn: es wird sich präsentiren vor unsrer augen-licht, daß man es gleich nicht wieder sagen kan, noch ins gemüthe führen. Wenn du denn nu dich läßst sehen von den höhen ohne dekke, ich weiß, daß ich nicht erschrekke.

Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 2019-2020.
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