SO2-Dampfmaschine

[145] SO2-Dampfmaschine, eine Abwärmekraftmaschine; in Verbindung mit der Wasserdampfmaschine die erste praktisch verwirklichte Mehrstoffdampfmaschine.

Bekanntlich ist der thermische Wirkungsgrad der gewöhnlichen Wasserdampfmaschine ein sehr geringer, obwohl die Hilfsmittel zur Erhöhung dieses Wirkungsgrades (Erhöhung der Anfangsspannung, Anwendung hochüberhitzten Dampfes, möglichste Erniedrigung des Gegendruckes im Kondensator) bis zur Grenze des Möglichen in Anwendung kommen. Bei einer absoluten Anfangsspannung von 12 kg/qcm, einer Ueberhitzungstemperatur von 350° und einer Kondensatorspannung von 0,1 kg/qcm beträgt z.B. der thermische Wirkungsgrad einer vollkommenen Wasserdampfmaschine η1 = 0,288. (Näheres über die Größe und Berechnung von η1 s. Heißdampfmaschinen [Bd. 5, S. 7]; vgl. insbesondere die Tabellen I–VI auf S. 6 und 8). Der thermische Wirkungsgrad η2 der wirklichen Maschine ist wegen der nicht vermeidbaren Verluste erheblich kleiner als η1 und dürfte für die oben angeführten sehr günstigen Verhältnisse auf η2 = 0,2 geschätzt werden, d.h. es werden bei einer unter den günstigsten Verhältnissen arbeitenden Wasserdampfmaschine nur etwa 20% der zugeführten Wärme in Arbeit verwandelt; von den verbleibenden 80% geht ein Teil durch Abkühlung, Drosselung u.s.w. verloren; der Hauptteil ist aber in dem abströmenden Dampfe noch enthalten und wandert nutzlos bei Auspuffmaschinen in die Atmosphäre, bei Kondensationsmaschinen in den Kondensator. Da eine bessere Ausnutzung des Dampfes durch weitere Erhöhung der jetzt gebräuchlichen, schon sehr hohen Anfangstemperaturen (Heißdampfmaschine 350–400°) nicht mehr zu erzielen möglich ist, so war es naheliegend, daß man dasselbe Ziel durch eine weitere Herabsetzung der Endtemperatur zu erreichen suchte, indem man sich der weiteren Verwertung der Abdampfwärme zur Arbeitserzeugung zuwendete. Diese Bestrebungen führten zur Kaltdampfmaschine, die in der SO2-Dampfmaschine ihre erste Verwirklichung gefunden hat.

Es ist das Verdienst von Behrend und Zimmermann, diese Idee der Abwärmeausnutzung zuerst in der bestimmten Form eines Patentes zum klaren Ausdruck gebracht und dieselbe trotz anfänglicher Mißerfolge und großer Opfer viele Jahre hindurch bis zur praktischen Verwirklichung verfolgt zu haben. Den hervorragendsten Anteil an dem Verdienst der zweckmäßigen Gestaltung der SO2-Maschine gebührt dem Leiter des Maschinenbaulaboratoriums der Techn. Hochschule in Charlottenburg, Professor Josse, der die erste erfolgreiche SO2-Maschine konstruierte, im Laboratorium untersuchte und darüber ausführlich berichtete [1]. An der ersten SO2-Maschine konnten 56% der indizierten Leistung der vorgeschalteten Wasserdampfmaschine ohne jeden Mehrverbrauch an Wärme hinzugewonnen werden. Weitere Versuche an größeren Maschinen haben dieses Ergebnis im großen und ganzen bestätigt [1], [3]. Die Wirkungsweise der SO2-Maschine ist aus nebenstehender Figur ersichtlich. Der Abdampf der Wasserdampfmaschine A geht in den Oberflächenkondensator B, der nicht mit Wasser, sondern mit flüssiger SO2 gekühlt wird. B ist zugleich der Verdampfer der SO2. Der SO2-Dampf, der bei mäßigen Temperaturen hohe Drücke zeigt (s. die nachstehende Tabelle), gelangt in den Arbeitszylinder der Abwärmemaschine C und leistet hier durch Expansion Arbeit. Der Abdampf des SO2-Zylinders strömt hierauf zum Kondensator D und wird durch Kühlwasser kondensiert.

Druck und Temperatur des gesättigten SO2-Dampfes.

SO2-Dampfmaschine

Die flüssige SO2 wird durch eine Zirkulationspumpe nach dem Verdampfer B gefördert, worauf der Kreislauf von neuem beginnt. Die Druckdifferenz der Expansion im SO2-Zylinder ist[145] abhängig von der Temperatur des Abdampfes der Wasserdampfmaschine im Kondensator B und der Temperatur des Kühlwassers im Kondensator D. Bei einem Versuch ergaben sich z.B. folgende Werte:


SO2-Dampfmaschine

Die Hauptschwierigkeiten im Betriebe der SO2-Maschine liegen in der Beschaffung der erforderlichen großen Mengen sehr kalten Kühlwassers, in der Gefahr, daß bei undichtem Kondensator durch Lösung von SO2 in Wasser die Wände des Kondensators D zerfressen werden und in der Gefahr, daß der giftige SO2-Dampf durch Undichtigkeiten in den Maschinenraum dringt. Im allgemeinen aber können die rein konstruktiven Schwierigkeiten als überwunden bezeichnet werden.

Statt SO2 kann auch jede andre Flüssigkeit, deren Dämpfe bei niedrigen Temperaturen hohe Drücke zeigen, zum Betriebe einer Abwärmekraft- oder Kaltdampfmaschine verwendet werden, z.B. Ammoniak. Ferner läßt sich nicht nur die Abwärme von H2O-Dampfmaschinen, sondern auch diejenige von Explosions- oder Verbrennungsmaschinen, oder von Feuerungen (Schornsteingasen) sowie die Wärme heißer Quellen zur Arbeitsleistung in einer Kaltdampfmaschine heranziehen. Die Ausrichten der SO2-Kaltdampfmaschine auf allgemeinere Verbreitung sind neuerdings durch die Einführung der Abdampfturbinen, insbesondere durch die Erfolge des Rateauschen Dampfakkumulators, erheblich beeinträchtigt worden (s. Dampfturbinen, Bd. 2, S. 624, insbesondere S. 640). Die konsequente Weiterbildung der Idee der Kaltdampfmaschine in Verbindung mit der H2O-Dampfmaschine, also der Zweistoffdampfmaschine, führt zur Dreistoffdampfmaschine und Mehrstoffdampfmaschine, deren Theorie besonders von K. Schreber [2] näher ausgebildet worden ist. Schreber empfiehlt eine Dreistoffdampfmaschine mit der Oberstufe: Anilin 310–190°; Mittelstufe: Wasser 190–80°; Unterstufe: Aethylamin 80–30°.


Literatur: [1] Josse, E., Mitteilungen aus dem Maschinenlaboratorium der Kgl. Technischen Hochschule zu Berlin, Heft II und III, München 1899 und 1901. – [2] Schreber, K., Die Theorie der Mehrstoffdampfmaschine, Leipzig 1903. – [3] Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1901, S. 1077; 1902, S. 61, 250, 857, 1514; 1903, S. 137; 1905, S. 745; 1907, S. 831.

O. Herre.

SO2-Dampfmaschine
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 145-146.
Lizenz:
Faksimiles:
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