Verdampfungswärme

[763] Verdampfungswärme heißt die Wärmemenge, welche nötig ist, um bei konstantem Drucke 1 kg Flüssigkeit von der Siedetemperatur t in 1 kg Dampf von derselben Temperatur zu verwandeln (vgl. Dampf, gesättigter, Bd. 2, S. 539, und Sieden, S. 103). Da die Temperatur während dieses Uebergangs unter konstantem Drucke konstant bleibt, die zugeführte Wärme also nicht thermometrisch nachweisbar ist, so nannte man sie früher latente Wärme (Bd. 6, S. 72) oder latente Verdampfungswärme, Bezeichnungen, die selbst jetzt noch vorkommen. Beim Uebergange vom gasförmigen in den flüssigen Zustand wird die Verdampfungswärme wieder frei.

Wenn bei konstantem Drucke zur Erwärmung von 1 kg Flüssigkeit von 0 auf t° eine Wärmemenge q nötig ist (s. Flüssigkeitswärme) und r die Verdampfungswärme bezeichnet, so hat man die Gesamtwärme (s.d.) zur Bildung des Dampfes von t° aus Flüssigkeit von 0° λ = q + r. Mit den Bd. 4, S. 410 und 99 nach Regnault [1] gegebenen λ, q erhält man beispielsweise die Verdampfungswärme r = λq in Kalorien (s.d.):


Verdampfungswärme

Die r vorteilender Stoffe nach Winkelmann s. [11], S. 1090, 1093, [7], S. 478. Für Wasser steht nach Dieterici [8], [13], S. 18, mit dem jetzt vorliegenden Versuchsmaterial besser als der Regnaultsche Ausdruck im Einklang:

r = 594,9 – 0,559 t – 0,000002234 t2.

Verdampfungswärme

Ueber Ammoniak, schweflige Säure und Kohlensäure s. [6], S. 235, 245, 250.

Die Verdampfungswärme r besteht aus zwei Teilen: aus der Wärmemenge o zur Aenderung der Energie im Körper (s. Energie, Bd. 3, S. 449, und Innere Arbeit, Bd. 5, S. 197) und der Wärmemenge A p u zur Ueberwindung des äußeren Drucks p beim Uebergange vom Flüssigkeitsvolumen σ ins Dampfvolumen s = σ + u (s. Aeußere Arbeit, Bd. 1, S. 102, vgl. Bd. 2, S. 542). Erstere heißt die innere Verdampfungswärme, letztere die äußere Verdampfungswärme. Nach der Clapeyronschen Gleichung, Bd. 2, S. 470, hat man:


Verdampfungswärme

(1/A = 424 mechanisches Wärmeäquivalent). Auf Grund dieser Formel lassen sich bei bekannten p, T, r, d p/d t die Werte von o und A p u berechnen, wie dies von Zeuner nach den Regnaultschen Versuchsresultaten geschehen ist. S. die Tabellen für Wasserdampf, Bd. 2, S. 540, und [13], S. 24, 28, Tabellen für Wasserdampf und andre Dämpfe s. [6], Anhang.

Aus den so erhaltenen Werten hat Zeuner im Hinblicke auf technische Bedürfnisse empirische Formeln für die innere Verdampfungswärme Q abgeleitet. Es ergaben sich in Kalorien:


Verdampfungswärme

Ueber Ammoniak, schweflige Säure und Kohlensäure s. [6], S. 235, 245, 250. Aus den nun ausgedrückten r, o folgen die äußeren Verdampfungswärmen A p u = ro:


Verdampfungswärme

Ueber Ammoniak, schweflige Säure und Kohlensäure s. [6], S. 235, 245, 250.[763]

Die angeführten Ausdrücke wurden bisher in der Technik am meisten verwendet, doch lind einzelne Verdampfungswärmen für eine große Anzahl andrer Körper ([7], S. 474, [11], S. 1094) und mehrfach auch andre Beziehungen abgeleitet worden ([7], S. 478, [11], S. 1087). So gab Clausius ([2], S. 137) auf Grund der Regnaultschen Versuche die einfachere Formel:

r = 607 – 0,708 t.

Verdampfungswärme

Winkelmann suchte die Ergebnisse der Versuche Regnaults genauer, als oben nach Regnault angeführt, darzustellen [11], S. 1090, 1093. Ueber die Kohlensäure s. insbesondere [3], über die Beziehungen der Verdampfungswärme zu andern Größen Bd. 2, S. 470, 542, [11], S. 1105, [5], S. 783, [13], S. 16, 20, 23, 33.

Neuestens sind in der Physikalisch-technischen Reichsanstalt früher angestellte Versuche über die Verdampfungswärme des Wassers von 30 bis 100° [12] fortgesetzt worden durch solche von 100 bis 180° [15]. Die Ergebnisse konnten mit genügender Genauigkeit durch folgende Formeln dargestellt werden:


Verdampfungswärme

Diese lassen sich auch wie folgt schreiben:


Verdampfungswärme

Verdampfungswärme

während die Regnaults Resultate verhältnismäßig gut wiedergebende Clausiussche Formel


Verdampfungswärme

Für t = 100° ergibt a) r = 538,5, die nicht bis dahin ausgedehnte Formel b) r = 539,7, die Clausiussche 536,2 Kalorien.

Da in der Physikalisch-technischen Reichsanstalt neuerdings auch die Sättigungsdrücke p des Wasserdampfes von 50 bis 180° zuverlässig bestimmt wurden, so ließe sich nach der Clapeyronschen Gleichung (Bd. 2, S. 470) eine Neuberechnung der spezifischen Volumen s (Volumen der Gewichtseinheit) und spezifischen Gewichte γ = 1/v (Gewichte der Volumeneinheit) zwischen 50 und 180° anstatt der Tabellenwerte nach Regnault vornehmen.


Literatur: [1] Regnault, Relation des experiences etc., I, Paris 1847, S. 635, 729 (Wasser); II, Paris 1862, S. 262, 761 (andre Körper). – [2] Clausius, Die mechanische Wärmetheorie, I, Braunschweig 1887, S. 130, 134. – [3] Mollier, Ueber die kalorischen Eigenschaften der Kohlensäure und andrer technisch wichtiger Dämpfe, Zeitschr. f. d. ges. Kälteindustrie 1895, S. 66, 85 (s.a. 1896, S. 65, 90). – [4] Louguinine, Etudes sur les chaleurs latentes de Vaporisation, Annales de chimie et de physique, VII, 1896, S. 251. – [5] Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik, II, Die Lehre von der Wärme, Leipzig 1896, S. 756–785. – [6] Zeuner, Technische Thermodynamik, II, Leipzig 1901, S. 22, 31, 32, 235, 245, 250. – [7] Landolt-Bornsteins Physikalisch-chemische Tabellen, Berlin 1905, S. 474, 478. – [8] Dieterici, Die kalorischen Eigenschaften des Wassers und seines Dampfes, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1905, S. 362 (s.a. Annalen der Physik, 1905, Bd. 16, S. 610). – [9] Mathias, Sur la chaleur de Vaporisation des gas liquides, Compt. rend. 1905, CXL, S. 1174. – [10] Chwolson, Lehrbuch der Physik, III, Die Lehre von der Wärme, Braunschweig 1905, S. 645. [11] Winkelmann, Handbuch der Physik, II, Wärme, Leipzig 1906, S. 1087. – [12] Henning, Die Verdampfungswärme des Wassers zwischen 30 und 100°, Annalen der Physik 1906, Bd. 21, S. 849. – [13] Weyrauch, Grundriß der Wärmetheorie, II, Stuttgart 1907, S. 16, 23. – [14] Holborn und Henning, Ueber das Platinthermometer und den Sättigungsdruck des Wasserdampfes zwischen 50 und 200 o, Annalen der Physik 1908, Bd. 26, S. 833 (Auszug s. Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1909, S. 302). – [15] Henning, Die Verdampfungswärme des Wassers zwischen 100 und 180°, Annalen der Physik 1909, Bd. 29, S. 441.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 763-764.
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763 | 764
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