9. Der Königssohn.

[42] Vor alten Zeiten lebte ein mächtiger, weiser König, der herrschte weit über Land und Leute und seine Untertanen waren zufrieden und glücklich, denn er regierte weise und milde und war ein Vater seiner Untergebenen. Als er nun alt und schwach geworden war und sein müdes Haupt die Krone nicht mehr zu tragen vermochte, da wollte er sie seinem ältesten Sohne übergeben, auf daß er sein Nachfolger im Reiche sei. Als aber die jüngern Söhne dies hörten, traten sie zum alten Könige und sprachen: »Unser Bruder ist nicht recht bei Verstande und folglich zum Könige nicht geschaffen; gib einem von uns deine Krone, damit wir sie deiner würdig tragen und durch Einsicht und Tugend deinem Namen Ehre machen.« Da antwortete ihnen der König: »Damit ferner kein Streit unter euch sei, will ich euch eine Probe auferlegen! Gehet hin in die Nachbarländer, und wer mit dem schönsten Becher wiederkehrt, der soll fürderhin König sein, und ihr andern sollt nicht mehr streiten, sondern in Gehorsam und Treue ihm untertan bleiben.«

Mit frohen Herzen gingen die beiden jüngern Brüder miteinander, den Becher zu suchen; der Älteste aber schritt allein durch den Wald und war traurig, daß seine Brüder ihm sein gutes Recht nehmen wollten und ihn schalten, daß er nicht recht bei Verstande sei. Als[43] er so einige Zeit in Gedanken dahingewandert war, da stund plötzlich vor seinen Augen ein großes, prächtiges Schloß, das er noch niemals gesehen hatte, so oft er auch durch den Wald gegangen war. Tor und Türen standen offen und er konnte ungehindert hineingehen und die Stiege emporsteigen. Er schritt durch das erste Zimmer, aber kein menschliches Wesen ließ sich darin sehen; er ging nun weiter und weiter durch eine lange Reihe der prachtvollsten Zimmer, bis er endlich an das letzte gekommen war. Da trat ihm daraus eine Katze entgegen, setzte sich vor ihm auf die hinteren Füße und fragte ihn mit wohlwollender Stimme, was sein Begehren sei. »Liebe Frau Katze,« entgegnete ihr beherzt der Jüngling, »Ihr könntet mir einen recht großen Gefallen erweisen, wenn Ihr mir einen Becher brächtet; denn das Glück meines Lebens hängt davon ab, daß ich einen schönern nach Hause bringe als meine beiden Brüder, welche auch ausgegangen sind, ein solches Kleinod zu suchen.« Die Katze nickte freundlich mit dem grauen Kopfe, ließ sich auf ihre vordern Pfoten nieder und eilte davon. Wenige Augenblicke waren verstrichen, so kam sie wieder und legte einen großen, prächtigen Becher in die Hände des Jünglings. Er konnte sich aber vor Erstaunen und Freude kaum fassen, als er den schönen, funkelnden Becher sah. Da war alles daran von lauterm Golde und Edelgestein und wundersame Bilder waren darauf ausgeprägt, Schlachten und Ritterfahrten und Hochzeiten, und der Becher gab einen so hellen Schein, als wenn die untergehende Sonne ihre vollen Gluten in das Zimmer geworfen hätte. Als er endlich wieder zur Besinnung kam und der guten Katze für ihr schönes Geschenk danken wollte, war sie längst entschwunden und er stand allein und wußte nicht recht, wie ihm geschehen war. Schnellen Schrittes eilte er nun über die Treppe und durch den Wald nach Hause, wo seine Brüder mit ihren Bechern schon angekommen waren[44] und ihn erwarteten. Als er nun mit seinem herrlichen, leuchtenden Pokale zu ihnen hintrat, da mußten sie wohl selbst gestehen, daß er das schönste Kleinod gefunden habe und von Rechts wegen die Krone verdiene; aber sie bestürmten nur desto mehr ihren alten Vater, ihnen noch eine Probe aufzuerlegen, und hörten nicht auf zu flehen, bis er endlich ihren Bitten nachgab. »So geht denn in Gottes Namen,« sprach er, »noch einmal aus, und wer das schönste und beste Schwert heimbringt, der soll ohne allen Widerspruch König sein und die andern sollen ihm gehorchen.«

Zufrieden mit diesem Spruche eilten die beiden jüngern Brüder wieder mitsammen fort. Der Älteste aber ging in den Wald und dem Schlosse zu, wo seine Wohltäterin, die Katze, wohnte. Dieses Mal war sie ihm schon auf der Treppe entgegengekommen und fragte ihn mit schmeichelnder Stimme, was er da wolle. »Liebe Katze,« entgegnete er, »sei doch so gut und bringe mir ein recht schönes und gutes Schwert; du wirst mich zu ewigem Dank verpflichten, denn, wenn ich ein schöneres heimbringe als meine Brüder, so werde ich König sein und sie müssen mir dienen.« – Die Katze nickte freundlich mit dem grauen Kopfe, sprang lustig davon und kam bald mit einem großen, schönen Schwerte wieder, das sie mit dem reichen Wehrgehänge dem erstaunten Jüngling um die Hüften gürtete. »Kehrst du noch einmal zurück,« rief sie ihm zu, indem sie ihre weißen Pfoten ihm zum Abschiede entgegenstreckte, »so fasse mich nur an den beiden Hinterfüßen, trag mich in die Küche und schlag mich so lange an den Herd, bis du nichts mehr von mir sehen kannst.«

Mit diesen Worten war die Katze entschwunden und der Jüngling kehrte nach Hause zurück und dachte hin und her, was diese Rede wohl bedeuten möchte. Als er bei Hofe anlangte, waren seine Brüder mit ihren Schwertern schon angekommen und glaubten nun[45] sicher, daß sie den Preis erringen würden. Aber, so schön ihr Waffen auch waren, sie konnten sie mit dem Schwerte ihres Bruders nicht vergleichen und der Alte zögerte nicht, dem Sieger seine Krone als Preis zuzuerkennen. Da traten die beiden jüngern Söhne noch einmal zu ihm und ließen nicht nach, ihn mit Bitten und heißen Tränen zu bestürmen, ihnen nur noch eine letzte Probe zu gestatten, bis er endlich ihren Worten nicht widerstehen konnte und in ihr Begehren willigte. »So geht denn zum dritten und letzten Male hin, und wer die schönste Braut nach Hause bringt, der soll sie zum Weibe haben und König sein.«

Darüber waren nun die beiden jüngern Brüder sehr erfreut und auch der Älteste gab sich damit zufrieden; denn er zweifelte nicht, daß seine Freundin, die Katze, ihm in dieser letzten und härtesten Probe beistehen werde. Ohne sich lange zu besinnen, eilte er durch den Wald dem Schlosse zu und erinnerte sich gar wohl des Auftrages, den er das letztemal erhalten hatte. Als er zum Schlosse kam, stand die Katze schon unter dem Tore und winkte ihm entgegen und fragte ihn gar freundlich, was denn diesmal sein Begehren sei. Der Jüngling aber antwortete ihr nicht, sondern hob sie an ihren hintern Füßen empor, trug sie in die Küche und schlug sie so lange an den Herd, bis er nichts mehr von ihr sah. Da war es plötzlich, wie wenn eine Wolke vor seinen Augen zerronnen wäre, und eine herrliche Jungfrau stand vor ihm, schön, wie er noch keine gesehen, und er hielt den goldenen Saum ihres langen, wallenden Gewandes in seinen bebenden Händen. »Willst du mit mir zu mei nem Vater kommen?« – sprach der entzückte Jüngling, indem er die errötende Jungfrau mit seinen Armen umschlang, »dann sollst du meine Braut und Königin sein.« Sie aber winkte ihm lächelnd entgegen und reichte ihm ihre weiße, zarte Hand, auf daß er sie zu seinem Vater führe.[46]

Unterdessen waren die beiden jüngern Söhne schon mit ihren Bräuten angekommen und harrten mit klopfendem Herzen des ältesten Bruders. Als nun dieser mit der herrlichen Jungfrau in den Saal trat, da neigten sich alle in Ehrfurcht vor ihr und der alte König stieg vom Throne nieder und setzte die goldene Krone auf das Haupt des ältesten Sohnes und legte einen blühenden Kranz um die Locken der Jungfrau, und die Brüder huldigten ihrer Königin und gestanden es zu, daß ihr Bruder den höchsten Preis errungen habe.


Da kommt die Maus,

Das Märlein ist aus.


(Meran.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 42-47.
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