III. Wiener Wahrzeichen.

[4] Kaum wird es eine Stadt im lieben deutschen Vaterlande geben, welche so vieler Wahrzeichen sich zu erfreuen hätte, als das alte Wien. Wer kennt nicht sein edelstes, höchstes, schönstes, den Stephansthurm? Wer kennt nicht die weitgenannte Spinnerin am Kreuz, das kunstvolle gothische Denkmal, das von der Höhe des Wienerberges hinabschaut auf die weithin zu des Berges Füßen reizvoll hingelagerte Stadt? Diese Wahrzeichen allzumal sind umblüht von Sagen des Volkes, theils heiterer, theils ernster Art, und wunderlich sind manche dieser Denk- und Erinnerungszeichen ausgedeutet worden. Oft versuchte sich an den einfachen Ueberlieferungen aus dem Volksmunde[4] gelehrter Scharfsinn und schuf, auf Ab- und Irrwege gerathend, unnatürlichen Aberwitz aus der kunstlosen Blüthe des Volkswitzes.

Zwischen dem vorhin genannten Stephansthurme und der eben auch genannten Spinnerin am Kreuze auf dem Wienerberge findet nach dem Volksmunde diese Beziehung statt, daß die Spitze des Thurmes genau so hoch aufragt, als die Spitze des kunstvollen Kreuzstockes auf dem Berge, dessen Höhe vom Boden auf sechs Fuß drei und einen halben Zoll Wiener Maaß hält.

Manche alte Wahrzeichen hat auch die Zeit hinweggedrängt, und nur an den dauernden Fels der Erinnerung ist das sagenhafte Verweilen der Kunde von ihnen gebannt. Eines derselben war.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 4-5.
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