Bestrafter Ehebruch

[116] Ein Weib hatte einen kleinen Sohn, einen alten Ehemann und einen Liebhaber. Nachdem sie mit letzterem lange verkehrt hatte, merkte es ihr Mann und sagte zu ihr: »Ist der Mann, der immer in unser Haus kommt, nicht der, der die Kinder frißt? Sollte er wieder in unser Dorf kommen, so habe gut acht auf unseren Sohn!« Da schwieg das Weib verlegen und sagte nur: »Schön!« und er ging seiner Wege.

Sie fragte die Leute darüber, erhielt aber die Antwort: »(So einen Menschen) giebt es bei uns wenigstens nicht!« Sie kehrte darauf zu ihrer alten Lebensweise zurück. Der Ehemann aber merkte es: »Töte ich die Frau,« sagte er sich, »so verliere ich auch den Säugling, und töte ich den Mann, so droht mir die Blutrache von seiten der Verwandten.« Dann ging er zu seiner Frau und sprach: »Ich gehe auf Reisen, gieb gut acht auf das Haus und das Vieh!«

Desselben Tages ging er an einen Ort, wo er sich eine kleine Hütte errichtet hatte, und fing sich dort von seinem Vieh solche Bremsen, die sich voll Blut gesaugt hatten. Der Verehrer kam am Abend und plauderte[116] mit der Frau. Der Ehemann schlich ihn nach und setzte sich, bis die beiden fest eingeschlafen waren; dann näherte er sich und zerquetschte die Bremsen in den Händen, bestrich des fremden Mannes Mund und Körper mit dem Blut und legte die blutigen Hände auf das Bett. Dann nahm er den Säugling fort, ging hinaus und brachte ihn seiner eigenen Mutter.

Morgens in aller Frühe kam er nach Hause und verlangte Einlaß. Die Frau sprang auf und öffnete. »Wo ist das Kind?« sagte er gleich. Da sah sie um sich, fand es nicht und fing an zu weinen. »Der Mann, von dem ich gestern mit dir sprach, ist wohl hier gewesen!« fragte er. »Jawohl!« sagte sie, »er hat das Kind gefressen, da steckt er!« Da hieß der Mann den erschrockenen Liebhaber herauskommen aus seinem Versteck und band ihn. Er brachte ihn vor die Versammlung, und der Häuptling übergab ihn dem Ehemann zur Bestrafung. Letzterer aber führte ihn an einen Abgrund (um ihn dort hinunterzustürzen). »Meinen Sohn,« sprach er, »verlor ich in der letzten Nacht, dieser Mann hier hat mich seiner beraubt. Nun segnet mich,« sprach er zu den Verwandten des Verbrechers. Und die Leute segneten ihn.1 Dann ging er zu seiner Frau, welche er laut weinend antraf.[117] »Schweig nur still,« rief er, »du hast ihm das Kind ja selbst zum Fressen gegeben!« »Ja,« jammerte die Frau, »ich bin dran schuld, töte mich nur, oder ich töte mich selbst.« Da holte er ihr Kind zurück, und sie nahm es (auf den Arm) und freute sich sehr. Von da an blieben ihr aber alle Männer fern.

1

Unter dem »Segnen« versteht er eine Immunitätserklärung gegen die Blutrache von seiten der Verwandten. Das bewiesene Verbrechen der Menschenfresserei war in den Augen selbst der Verwandten ein so schweres, daß sie auf die Blutrache Verzicht leisteten.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 116-118.
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