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[83] Der König Rampsinit2 besaß einen so großen Schatz, daß keiner seiner Vorgänger ihn darin erreichte, geschweige denn übertraf. Um ihn in Sicherheit zu bringen, ließ er ein Gemach aus Quadersteinen bauen und wünschte, daß eine der Mauern über das Bauwerk und die Umfriedigung des Gebäudes hervorragte. Aber der Baumeister brachte einen passend behauenen Stein so kunstvoll an, daß zwei Männer, ja ein einziger, ihn herausziehen und von der Stelle bewegen konnten. Als das Gemach fertig war, häufte der König seine Schätze darin auf. Nach einiger Zeit fühlte der Baumeister sein Lebensende herannahen, rief seine beiden Söhne zu sich und erklärte ihnen, wie er für ihr Interesse gesorgt habe. Er enthüllte ihnen den Kunstgriff, den er beim Bau der königlichen Schatzhalle angewendet hatte, damit sie im Überfluß leben könnten. Und nachdem er ihnen genau angegeben, wie sie den Stein zu entfernen vermöchten, gab er ihnen noch gewisse Verhaltungsmaßregeln und[83] empfahl ihnen, dieselben stets einzuhalten. So würden sie Herren des königlichen Schatzes sein. Darauf verschied er.
Seine Söhne zögerten nicht, sich ans Werk zu ma chen. Sie kamen des Nachts zum Palast des Königs, rückten den Stein, der leicht gefunden war, von der Stelle und nahmen eine große Summe Geldes mit sich. Aber das Schicksal wollte, daß einst der König das Gemach öffnete und sehr erstaunt war, als er seine Schatzkästen sehr vermindert fand. Er wußte nicht, wen er dessen hätte anklagen oder verdächtigen können, da die von ihm angebrachten Siegel unverletzt und das Gemach fest verschlossen war. Zwei-, dreimal kam er wieder, um sich zu überzeugen, ob seine Schätze weiter abnähmen. Endlich befahl er Schlingen neben die Schatzkästen zu legen, um die Diebe an der freien Rückkehr aus dem Gemach zu hindern. Die Diebe kamen nach ihrer Gewohnheit wieder. Der eine von ihnen trat ins Gemach, aber sobald er sich einem der Schatzkästchen näherte, sah er sich gefangen. Sofort erkannte er die Gefahr, in der er sich befand, rief schnell seinen Bruder herbei, zeigte ihm seine Lage und bat ihn heranzutreten und ihm den Kopf abzuschlagen, damit er nicht Ursache würde, daß auch sein Bruder ins Verderben geriete, wenn er erkannt würde. Der Bruder billigte seinen Rat und handelte demgemäß, rückte dann den Stein wieder zurecht und begab sich mit dem Haupte seines Bruders nach Hause.
Als es Tag war, trat der König in sein Gemach und erschrak, als er den kopflosen Leichnam des in der Schlinge gefangenen Diebes erblickte, denn es schien niemand[84] ein- noch ausgegangen zu sein. Er war im Zweifel, wie er in dieser Angelegenheit handeln sollte und verfiel endlich auf den Gedanken, den Leichnam auf die Stadtmauer hängen zu lassen und Spione zu bestellen mit dem Auftrage, denjenigen oder diejenigen vor ihn zu führen, den oder die sie weinen und den Toten beklagen sehen würden. Als der Leichnam so aufgehängt wurde, wandte sich die Mutter, von Schmerz gequält, an ihren zweiten Sohn, und befahl ihm, ihr unter allen Umständen den Leichnam seines Bruders zu bringen. Sie drohte im Weigerungsfalle zum Könige zu gehen und ihn anzuzeigen, daß er seine Schätze hätte. Da der Sohn sah, daß seine Mutter sich die Sache sehr zu Herzen nahm und keine Vorstellung etwas nützte, ersann er folgende List. Er ließ einige Esel satteln, belud sie mit Schläuchen aus Ziegenhaut, die mit Wein gefüllt waren, und trieb sie vor sich her. Als er an den Platz kam, wo die Wachen standen, d.h. wo der Leichnam hing, band er einige seiner Schläuche (heimlich) auf, und als er den Wein zur Erde fließen sah, begann er sich gegen den Kopf zu schlagen und zu jammern, indem er that, als wüßte er nicht, welchem seiner Esel er sich zuerst zuwenden sollte. Die Wachen sahen, wie eine große Menge Weins verschüttet wurde, liefen mit Gefäßen herbei und freuten sich der Beute, die sie ergattern konnten. Der Kaufmann fing an sie zu schelten und schien in großen Zorn zu geraten. Darauf wurden die Wachen manierlicher, und er besänftigte sich allmählich und mäßigte seinen Zorn. Endlich trieb er seinen Esel seitwärts vom Wege, um die Schläuche auszubessern und wieder aufzuladen. Dabei[85] flogen immer noch kleine Redensarten hinüber und herüber, bis einer von den Wachtmannschaften dem Kaufmann eine Stichelei zuwarf, worüber jener nur lachte. Ja, er gab ihnen noch einen Schlauch Wein obendrein, Da beschlossen sie sich niederzulassen, wo sie waren, und zu trinken und baten den Kaufmann zu bleiben und an ihrem Gelage teilzunehmen. Er willigte ein und da er sah, daß sie ihn freundlich behandelten, gab er ihnen auch noch seine übrigen Weinschläuche. Als sie soviel getrunken hatten, daß sie alle berauscht waren, überfiel sie die Müdigkeit, und sie schliefen auf derselben Stelle ein. Der Kaufmann wartete, bis es finstere Nacht war, nahm dann seines Bruders Leichnam ab und rasierte den Wachen zum Spott allen den Bart auf der rechten Wange. Darauf lud er den Leichnam auf seine Esel und trieb sie nach Hause zurück. So hatte er seiner Mutter Geheiß erfüllt.
Als der König am folgenden Tage erfuhr, daß der Leichnam des Diebes listig entwendet worden war, war er sehr betrübt und wollte mit allen Mitteln denjenigen ausfindig machen, der diesen Streich ausgeführt hatte. Er that also etwas, was ich nicht recht glauben kann. Nämlich er öffnete seiner Tochter Haus und befahl ihr, jedweden ohne Unterschied zu empfangen, der da käme, ihre Gunst zu gewinnen. Aber ehe sie ihm Gehör schenkte, sollte sie jeden veranlassen, ihr den schlauesten und schlimmsten Streich seines Lebens zu erzählen. Denjenigen, der ihr den Streich des Diebes erzählen würde, sollte sie festhalten.
Die Prinzessin gehorchte dem Gebote ihres Vaters. Der Dieb aber, der wohl merkte, worauf die Sache hinauslief,[86] wollte alle List des Königs vereiteln und gebrauchte folgende Gegenlist. Er schnitt einem kürzlich Gestorbenen den Arm ab, verbarg ihn unter seinem Gewande und machte sich auf den Weg zur Prinzessin. Nachdem er eingetreten war, frug sie ihn wie die anderen. Und er erzählte ihr, daß das größte Verbrechen, das er begangen, dasjenige gewesen war, daß er seinem Bruder das Haupt abschlug, als er in der Schatzkammer des Königs in der Schlinge gefangen war. Den listigsten Streich aber habe er ausgeübt, als er den Leichnam seines Bruders herabnahm, nachdem er die Wächter eingeschläfert hätte.
Kaum hörte sie dies, so wollte sie ihn ergreifen. Da es aber sehr dunkel im Zimmer war, so reichte er ihr die Totenhand, die er versteckt gehalten hatte. Sie ergriff dieselbe, indem sie glaubte, es sei die Hand dessen, mit dem sie gesprochen hatte; sie sah sich aber getäuscht und der Dieb fand Zeit zu entkommen.
Als man dem Könige die Sache mitteilte, erstaunte er sehr über die Schlauheit und Kühnheit des Mannes. Schließlich ordnete er an, daß in allen Städten seines Reiches bekannt gemacht werden solle, daß er dem Übelthäter verzeihe und daß er ihn mit Wohlthaten überhäufen wolle, wenn er sich ihm, dem Könige, zeigen würde. Der Dieb schenkte der Bekanntmachung des Königs Glauben und begab sich zu ihm. Als der König ihn sah, wunderte er sich sehr. Er gab ihm seine Tochter zur Ehe als dem Befähigtsten der Menschen, der die Ägypter überlistet hatte, die doch klüger sind als alle Nationen.