Die wunderbare Einnahme der Stadt Joppe.

[111] Während die Geschichte des Un-Amen von friedlichen Handelsbeziehungen zu den Städten der syrischen Küste zu berichten weiß, versetzt ein Märchen, welches der bereits angeführte (S. 78) Papyrus Harris in London enthält, in die Zeit kriegerischer Verwickelungen zwischen diesen Städten und Aegypten. Der Anfang der Erzählung ist mit einer oder mehreren Seiten des Papyrus verschwunden, läßt sich aber aus dem Erhaltenen dem Sinne nach wiederherstellen. Es handelt sich bei dem Berichte um eine Kriegslist, die an eine Episode aus der Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern in Tausend und Einer Nacht erinnert, und mit deren Hülfe der ägyptische General Thutia die Stadt Joppe, das heutige Jaffa, einnahm. Der Name des Herrn der Stadt wird nicht genannt; er wird nach ägyptischer Sitte regelmäßig nur als »der Besiegte von Joppe« bezeichnet, da er als Gegner Aegyptens die Niederlage zu gewärtigen[112] hatte, und keiner Namensnennung würdig erschien. Thutia war dagegen eine verdiente historische Persönlichkeit in der Zeit des um 1500 v. Chr. lebenden Königs Thutmosis' III., die in den Inschriften als Erbfürst, Vorsteher der Länder des Nordens und der Länder inmitten des Mittelländischen Meeres erscheint. Was im folgenden von ihm erzählt wird, ist aber nicht Geschichte, wie man zunächst beim Auffinden dieses Papyrus annehmen wollte, sondern Sage und Märchen, die an die historische Persönlichkeit anknüpften.


* * *


Eines Tages saß der König Thutmosis III. auf seinem Throne; da kam eilends ein Bote herbei und meldete, der Fürst von Joppe habe sich empört und wolle seinen Tribut nicht bezahlen. Der König wurde hierdurch sehr betrübt, denn der größte Teil seiner Truppen war auf einem Kriegszuge und Joppe war eine stark befestigte und mächtige Stadt. Der General Thutia, der bei ihm war, sagte aber dem Pharao, er solle nicht traurig sein, denn er werde nicht eher ruhen, bis er Joppe wieder für Aegypten gewonnen hätte. Der König solle ihm zu dem Zwecke nur siebenhundert Mann, das nötige Geräte und vor allem seinen Königlichen Stab übergeben, denn in letzteren war ein Teil der magischen Kraft übergegangen, die dem Pharao als einem leiblichen Sohne des Sonnengottes eigen war.

Der König folgte dem Wunsche des Thutia, übergab ihm alles, was er verlangte, und ließ ihn mit seiner kleinen Schar nach Joppe ziehen.[113] Als Thutia in die Nähe von Joppe gelangt war, schickte er an den Fürsten der Stadt einen Boten und ließ ihm sagen, er habe sich mit dem Pharao entzweit und sei daher jetzt bereit, mit Joppe gemeinsame Sache zu machen, er stelle seine Leute und seine Reiter zur Verfügung der Gegner Aegyptens. Der Fürst, der von Thutia und seiner Tüchtigkeit gehört hatte, war über diese Nachricht hoch erfreut, zog mit zahlreichem Gefolge aus den Toren der Stadt heraus und ließ draußen auf freiem Felde sein Zelt aufschlagen. Dann lud er den Thutia zu sich ein, während dessen Leute vor dem Lager bleiben mußten.

Als nun der Fürst und Thutia (hiermit beginnt der erhaltene Teil des Papyrus, dessen kleine Lücken sich ohne jede Schwierigkeit ergänzen lassen) einige Zeit mit Trinken verbracht hatten, da sagte Thutia zu dem Besiegten von Joppe: »Ach! Da sitze ich nun da mit den Weibern und Kindern aus Deiner angeerbten Stadt. Lasse doch auch meine Genossen und ihre Pferde in Dein Zeltlager hereinkommen, damit sie die Pferde füttern, oder lasse einen Aperu (Angehörige eines Nomadenstammes, in dem man vielfach die Hebräer hat wiedererkennen wollen) zu ihnen eilen, damit sie mein Gepäck hierher schicken«. Da faßten sie die Pferde und fütterten die Pferde, und man brachte das Gepäck, in dem sich der Stab des Königs Thutmosis' III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, befand. Dann kam man, und meldete dies dem Thutia.

Als sie nun eine Weile zusammengesessen hatten, da sagte der Besiegte von Joppe zu[114] Thutia: »Mein Herz steht danach, den Stab des Königs Thutmosis' III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, zu sehen. Ich beschwöre Dich bei der göttlichen Persönlichkeit des Königs Thutmosis' III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, lasse mir den Stab bringen, da Du ihn ja jetzt in Deinem Besitze hast.« Thutia tat das, was ihm geheißen worden war. Man brachte den Stab des Königs Thutmosis' III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, herbei. Da ergriff Thutia den Besiegten von Joppe an seinem Gewand, stellte sich aufrecht vor ihn hin und sagte: »Siehe her, Du Besiegter von Joppe! Das ist der große Stab des Königs Thutmosis' III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, des schrecklichen Löwen, des Sohnes der (löwenköpfigen, Verderben bringenden Sonnengöttin) Sechet, dem sein Vater, der Gott Amon, Kraft und Macht verliehen hat.«

Er erhob seine Hand, er schlug den Besiegten von Joppe auf seine Schläfe und dieser fiel ohnmächtig vor ihn hin. Dann steckte Thutia den Fürsten in einen großen ledernen Sack, den er fest verschloß; er brachte Metallketten bei den Armen an und Metallketten voll vier Metallringen unten an den Füßen. Dann ließ er sich die fünfhundert Krüge bringen, die er sich bereits früher hatte herstellen lassen. Er ließ zweihundert Soldaten in die Krüge hineinkriechen und füllte den Bauch der übrigbleibenden Krüge mit Stricken und Holzfesseln. Man versiegelte hierauf die Krüge mit dem Siegelringe (des zu Boden geschlagenen Fürsten), man umgab[115] die Krüge mit Geflecht und mit Stricken, um sie tragen zu können. Man belud lauter vortreffliche Soldaten mit den Krügen, im ganzen belud man fünfhundert Mann, und sagte ihnen: »Wenn ihr in die Stadt hineingelangt, so öffnet (die Krüge mit) euren Genossen, bemächtigt euch aller Leute, die sich in der Stadt befinden, und legt ihnen sofort die Fesseln (die in den übrigen dreihundert Krügen untergebracht sind) an!«

Nachdem dies geschehen war, ging man aus dem Zelte heraus, und sagte dem Stallmeister des Besiegten von Joppe: »Dein Herr ist gefallen (aber im übrigen ist Thutia unterlegen). Gehe nun hin um deiner Herrin zu sagen: Sei frohen Herzens, denn der Gott (der Asiaten) Sutech hat uns Thutia und seine Frau und seine Kinder überliefert. Siehe da! Man lud sie in diese zweihundert Krüge.« Diese waren (aber in Wahrheit) angefüllt von den Leuten, Fesseln und Stricken. Der Stallmeister ging vor den Leuten, die die Krüge trugen, einher, um das Herz seiner Herrin zu erfreuen, und um zu sagen: »Wir haben uns des Thutia bemächtigt«. Man öffnete vor den Soldaten die Verschlüsse der Stadt, sie gingen in die Stadt hinein, sie öffneten (die Krüge mit) ihren Genossen, sie bemächtigten sich der Stadt und ihrer Bewohner, klein und groß, und legten ihnen sofort die Stricke und Fesseln an.

Als sich die Truppen des Pharao, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, der Stadt bemächtigt hatten, da legte sich Thutia (der bis dahin seinem Versprechen gemäß auf Ruhe verzichtet hatte) zur Ruhe. Er schickte[116] einen Boten nach Aegypten zu dem Könige Thutmosis III., dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, seinem Herrn, und ließ ihm sagen: »Freue Dich! Dein schöner Vater, der Gott Amon, hat Dir den Besiegten von Joppe und alle seine Leute und ebenso auch seine Stadt übergeben. Jetzt mögen Leute kommen, um die Bewohner, die erbeutet worden sind, als Gefangene fortzuführen. Dann kannst Du die Behausung Deines Vaters, des Gottes Amon-Râ, des Königs der Götter, mit Sklaven und hörigen Frauen anfüllen, mit Leuten, die bis in alle Ewigkeit und Unendlichkeit Deiner Macht unterworfen sein werden.«

So fand diese Geschichte ein schönes Ende. Man verdankt sie (in dieser Abschrift) der Tätigkeit eines Schreibers, der in den Erzählungen vorzüglich erfahren ist, des Schreibers ....... (der Name des Mannes ist in dem Papyrus leider zu zerstört, um eine Ergänzung zuzulassen).

Quelle:
Wiedemann, Alfred: Altägyptische Sagen und Märchen. Leipzig: Deutsche Verlagsactiengesellschaft, 1906, S. 111-117.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon