Der König und sein Vezier.

[45] Es war einmal ein König; der hatte einen Vezier, den er sehr liebte. Im Lande des Königs gab es nur zwei Steinhäuser, eins gehörte dem König, das andere dem Vezier; sonst gab es kein anderes Steinhaus in der Stadt.

Eines Tages hatte der König in der Halle Gerichtssitzung, und es waren viele Leute versammelt. Da wurde ein Mann in die Gerichtshalle vor den König und alle versammelten Grossen gebracht. Derselbe war angeklagt, weil er mit der Frau eines Grossen Ehebruch begangen hatte. Der König war sehr erbost, und der Vezier des Königs befahl den Soldaten, den Mann zu ergreifen und zu fesseln, damit er getötet werde.

Darauf sagte jener Mann: »Tötet mich nicht, ich habe noch etwas zu sagen.« Der König sagte: »Lasst ihn los, fesselt ihn nicht.« Und sie liessen ihn frei und sagten ihm: »So sage Deine Worte.« Da sprach jener Mann zum König: »Ich habe zu Hause noch Samen liegen, den ich gern pflanzen möchte.« Der König fragte ihn: »Was für Samen hast Du?« Er antwortete ihm: »Es ist Samen für Perlen, den ich habe.« Der König erwiderte ihm: »Bringe ihn her, damit ich ihn pflanze.« Da sagte jener: »Das Pflanzen kann nur unter gewissen Bedingungen geschehen, es ist der Platz eines Steinhauses dazu erforderlich; dasselbe muss abgerissen und das Grundstück des Steinhauses gesäubert werden, dann erst kann dieser Same gepflanzt werden.«

Der König sprach darauf zu seinem Vezier: »Ich befehle, dass Dein Haus niedergerissen wird.« Das Haus wurde abgerissen und das Grundstück zum Pflanzen zurecht gemacht. Alsdann sagten sie ihm: »Bringe jetzt[46] den Samen zum säen.« Da entgegnete er: »Es ist eine zweite Bedingung erforderlich«, und zum König gewandt sagte er: »Suche jemand, der die Frauen nicht liebt, nur der eignet sich dazu, diesen Samen zu säen.« Alsdann suchte man allenthalben an allen Orten nach einem Manne, der die Frauen nicht liebe; es war jedoch keiner zu finden.

Später kam der Sultan eines andern Landes in das Reich jenes Königs. Dieser erzählte ihm jene Sache und befragte seinen Freund. Derselbe erwiderte ihm: »Auch in meinem Lande dürftest Du keinen Mann finden, der die Frauen nicht liebt.«

Da wurde jenem Manne verziehen und der König erteilte den Befehl, dass er nicht getötet noch gefesselt werde, und er erhielt sicheres Geleit und konnte seines Weges ziehen.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 45-47.
Lizenz:
Kategorien: