Die Hyäne.

[7] Es waren einmal zwei Freunde, die wetteten miteinander. Der eine sprach: »Es giebt niemand, welcher eine Hyäne zum Islam bekehren könnte, alle Tiere lassen sich bekehren, so dass sie vernünftig werden, aber ich habe noch nicht gesehen, dass eine Hyäne bekehrt wurde.« Sein Freund sagte: »Ich bin im stände eine zu bekehren.« »Das kannst Du nicht«, erwiderte sein Freund, »wenn Du es fertig bringst, werde ich Dir 180 Realen geben.« »Abgemacht«, sagte jener, »und ich, wenn ich es nicht fertig bringe, werde ich Dir 200 geben.«

Sie gingen hin und fingen eine Hyäne und nahmen sie mit sich. Sein Freund sprach zu ihm: »So, nun mache Deine Bekehrungsversuche.«

Er hielt die Hyäne soundsoviele Tage in Gefangenschaft und gab ihr nur an jedem dritten Tage zu fressen. Die Hyäne wurde vom Hunger sehr geplagt und sprach: »Ich werde in der Gefangenschaft noch sterben.« Jener aber sprach zu ihr: »Ich weiss Dir einen guten Rat, dass Du nicht stirbst; wenn Du auf meine Bedingungen Dich zu bekehren eingehst und die Religion befolgst, werde ich Dich losbinden und Dir zu fressen geben.« Sie erwiderte: »Gut, ich werde mich bekehren lassen, aber sage mir, wie ist die Art des Bekehrens, wie gehört man zum Islam? Ich möchte, dass Du mir zunächst sagest, was verboten und was erlaubt ist.« Jener antwortete ihr: »Wenn Du bekehrt sein willst, musst Du zunächst beten und im Koran lesen; wenn Du dann zu Gott bittest, vergiebt er Dir Deine Sünden, die Du begangen, und alles lässt er Dir zukommen, aber Du darfst kein Aas mehr fressen, denn das ist verboten, ebenso ist Menschenfleisch verboten. Wenn Du Fleisch[8] von einem geschlachteten Tiere essen willst, das ist erlaubt«.

Die Hyäne erwiderte: »Gut, ich werde kein Menschenfleisch noch Aas fressen, aber, wenn ich nun an einem Orte, wo weder ein Mensch noch Essen zu finden ist, auf dem Wege ein Aas liegen sehe, was mache ich dann? Frisst man da oder frisst man nicht?« Er erwiderte: »Man frisst es nicht, denn es ist verboten, warte dann in Geduld bis Du an einen Ort kommst, wo Menschen wohnen.« »Gut, aber wie komme ich denn da vorbei, wenn das Aas auf dem Wege liegt?« Er sagte: »Gehe links oder rechts vorbei.« »Wenn aber der Weg sowohl hier wie da eng ist, wie soll ich wohl vorbeikommen? Ich werde es dann doch berühren?« Er erwiderte: »Gut, so springe mitten drüber hinweg.« »Wenn ich nun aber herunterfalle auf das Aas, was ist dann?« Er sagte: »Das heisst soviel, dass Du dann wieder zur Hyäne geworden bist und nicht mehr dem Islam angehörst.« »Gut, so verzeih mir, sprach sie, ich kann dem Islam nicht angehören. Wenn man auf dieser Seite vorbeigeht und darf nicht an das Aas rühren, und wenn man auf der anderen vorbeigeht und darf nicht daran rühren, und wenn es verboten ist, beim Hinüberspringen darauf zu fallen, was ist dann erlaubt? Da ist es doch besser, ich kehre zu meinem Hyänentum zurück.«

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 7-9.
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