Der kleine Rotbauch

Der kleine Rotbauch.1
Eine Geikageschichte.

[87] Es war einmal ein kleiner Knabe, der hieß Rotbauch. Eines Tages[88] ging er ins Feld, um es zu bearbeiten. Während er fleißig war und die Sonne warm schien, wurde er durstig; deshalb ging er zu einem Teich und trank aus ihm.

Seine Mutter aber kam plötzlich zu ihm und sagte:

»Trinke nicht aus diesem Teiche; denn du weißt nicht, wem er gehört.«

Er aber entgegnete:

»Ich will daraus trinken!«

Die Mutter des Knaben sprach:

»Der Eigentümer des Wassers wird dich töten!«

»Das tut nichts!« entgegnete Rotbauch.

»Gut! so gehe ich fort von dir!«

Damit ließ sie ihn allein, und der Knabe trank von dem Wasser.

»Warum hast du von meinem Wasser getrunken? Hat deine Mutter dir nicht gesagt, daß du es nicht tun sollst?« fragte da plötzlich der Eigentümer des Teiches, der ein großes, häßliches Tier war. Dann verschluckte es den Knaben und ging fort. Als es zu dem Teiche kam, in dem es lebte, fühlte es das Gewicht des verschlungenen Knaben in seinem Magen und konnte nicht in das Wasser gehen. Da kam ein großer Frosch und rief:

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du nicht den verschlingen mußt, der dein Wasser trinkt? Nun mußt du sterben, und dann ist niemand da, der uns beschützen kann!«

Nachdem der Frosch so geredet hatte, sprang er in das Wasser zurück.

Gegen Abend sagte das Ungeheuer:

»Mein Leib schmerzt mich!«

Da kamen alle Tiere aus dem Teiche zu ihm, und es sprach:

»Hört, was ich euch sage! Ihr alle seid hier zurück gelassen, wenn ich sterbe und habt keinen Freund!«[89]

Danach starb es. Aber der kleine Rotbauch lebte noch in dem Magen des toten Tieres. Er nahm sein Messer, schnitt ein Loch in den Körper des Tieres und kam ganz fröhlich zum Vorschein. Dann ging er heim.

»Sagte ich dir nicht, daß ich nicht sterben würde?« sagte er zu seiner Mutter.

»Mein Kind, wie konnte ich wissen, wie sicher du dich bergen würdest!« erwiderte sie.

Danach blieb Rotbauch immer bei seinen Eltern.

1

Diese Geikaerzählung ist eine der vielen Bantusagen des Südens von Afrika, in der ein Ungeheuer eine Rolle spielt, welches Menschen und Tiere verschlingt, ohne sie zu töten. Der Name »Rotbauch«, Siswana Sibonwana, ist ein Negername, der als solcher nichts Sonderbares bietet, denn Neger sind erfinderisch in den sonderbarsten Namenzusammenstellungen; so leiten sie oft die Namen ihrer Kinder von Ereignissen her, die an sich ganz unbekannt sind, die an dem Tage der Geburt geschehen sind; hat das neugeborene Kind irgend ein besonderes körperliches Abzeichen, so gibt dies ihm sofort den Namen. Jedes beliebige Ding wird als Name verwandt, z.B. manzi = Wasser, kaya = Haus bei den Kaffern, ongokero = Tod, okasen = Zwiebel bei den Herero, heri = Glück, kiroboto = Floh bei den Suaheli, und in dieser Art ist es mit der Namengebung bei allen schwarzen Völkern Afrikas.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 87-90.
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