Die Niederlage des Löwen

Die Niederlage des Löwen.
Hottentottenfabel.

[142] Einst waren die wilden Tiere bei dem Löwen versammelt. Als der Löwe eingeschlafen war, gab der Schakal einem kleinen Fuchs den Rat, einen langen Strick von Straußensehnen zu drehen, um mit ihm dem Löwen einen schlechten Streich zu spielen. Willig ging der zu allen Schandtaten stets bereite Fuchs auf den Vorschlag ein und drehte eifrig einen Strick. Diesen befestigte er am Schwanze des schlafenden Löwen und das andere Ende an einem Busch. Als der Löwe erwachte und sah, was geschehen war, wurde er sehr zornig und rief alle Tiere um sich. Sobald sie versammelt waren, sprach er folgende Beschwörungsformel:[143]

»Welches Kind der Liebe seines Vaters und seiner Mutter hat mich festgebunden?«

Da antwortete das Tier, dem die Frage zuerst vorgelegt war:

»Ich Kind der Liebe meines Vaters und meiner Mutter, ich Mutters und Vaters Liebessprößling habe es nicht getan.«

So antworteten nacheinander alle Tiere, an die der Löwe das Wort richtete. Als aber die Reihe zu antworten an den kleinen Fuchs kam, sprach dieser:

»Ich Kind der Liebe meines Vaters und meiner Mutter, ich Mutters und Vaters Liebessprößling habe es getan.«

Da zerriß der Löwe den aus Sehnen geflochtenen Strick und jagte dem Fuchs nach; denn er war sehr zornig. Der Schakal aber rief dem Fliehenden nach:

»Mein Junge, du Sohn der hageren Füchsin, du wirst nimmer ergriffen werden.«

Und in der Tat blieb der Löwe im Laufen zurück und mußte schließlich die Verfolgung des Fuchses aufgeben.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 142-144.
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