Masewe.
Eine Naosage.

[187] Es war einmal eine Frau, die hatte keine Kinder. Da ging sie zu einem Masewebaum, nahm von ihm zwei Früchte, legte sie in einen Topf und deckte ihn vorsichtig zu. Nach sechs Tagen hob sie den Deckel auf und sah, daß aus den Früchten Kinder geworden waren, die waren sehr schön. Diese Kinder wuchsen heran und waren bald so groß und kräftig, daß sie immer ihrer Mutter folgen wollten, wohin diese auch ging. Eines Tages ging sie aus, um Wasser zu schöpfen. Als die Kinder sich herzudrängten, um sie zu begleiten, verbot sie es ihnen, und am anderen Tage wie den folgenden wollte sie es ihnen auch nicht erlauben. Da weinten die Kinder und baten so lange, bis die Frau schließlich nachgab und sie mit zu dem Wasser nahm. Als sie nun schöpfte, sprach das eine Kind:

»Mutter, gib mir jenes Ding, das dort im Wasser ist!«

Die Mutter stieg ins Wasser, fing einen Fisch und gab ihn dem Kinde.

Das Kind aber nahm ihn nicht, sondern sagte:

»Nicht dieses, jenes will ich haben!«

Die Frau stieg wieder in das Wasser und fing ein Krokodil. Das Kind aber rief wieder:[187]

»Nein, nein, ich will das Ding dort, das schöne.«

Die Mutter stieg noch einmal hinab und fing eine große Schlange; aber das Kind wollte sie nicht haben, sondern sagte weinend:

»Ich will jenes schöne Ding,« und dabei wies es auf den Wiederschein der Sonne im Wasser. Die Mutter wurde aber sehr zornig und sprach:

»Ihr seid nie und mit nichts zufrieden; das kommt davon, daß ihr Masewe seid.«

Da weinten die Kinder und liefen in ihr Haus zurück. Die Mutter suchte sie zu beruhigen, aber weder ihr, noch den Leuten, die dazu kamen, gelang es. Die Kinder weinten immer mehr und sagten:

»Warum haft du uns Masewe genannt? Nun kehren wir zurück, wo wir hergekommen sind.«

Mit diesen Worten liefen sie davon nach dem Baume, von dem ihre Mutter die beiden Früchte gepflückt hatte. Viele Leute folgten ihnen, vermochten aber nicht, sie einzuholen. Am Baume angekommen, sprang das eine Kind in die Höhe, ergriff einen Ast und wurde sofort zur Frucht des Sewebaumes, und dasselbe geschah auch mit dem anderen Kinde.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 187-188.
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