Hundertsechsundsechzigste Geschichte

[170] geschah: Rabbi Schmuel Chossid war in einer Mühlen un wollt seinem Vater Klaunimes Weizen mahlen auf Pessach (Ostern). Un derweil daß er in der Mühl war un mahlt das Mehl da fiel ein Wolkenbrust (bruch), daß die Wassern so groß waren, daß die Eseln nit konnten das Mehl heimfahren vor großem Wasser, denn es wär sonst naß geworden, so wär es Chomez (gesäuert) worden. Das war Rabbi Schmuel gar leid un wußt nit, wie er ihm tun konnt. Da ging er hin un macht mit einem Schem (Zauber-Namen), daß ein großer Löwe kam. Der war viel größer als ein Kameltier. Da nahm der Rabbi Schmuel den Sack mit Mehl un legt ihn über den Löwen un setzt sich oben drauf. Un reitet als durch das Wasser mit dem Löwen un kam heim bis an seines Vaters Haus. Un wie nun der Vater das sah, daß er mit einem solchen Löwen heimkam, da gedacht er sich wol, daß es ein Baalschem (Meister der Kabala) hat getan. Da zörnt der Vater sehr über ihn un sprach zu ihm: »Du hast eine große Awere (Sünde) getan, daß du den Löwen mit dem Schem gemacht hast. Un um der großen Sünd willen, so wirst du all deine Tage keine Kinder haben.« Dem Rabbi Schmuel war sehr leid un hat nit gewußt, daß es eine große Awere is. Über zwei Tag ging er wieder bei seinem Vater un sprach: »Lieber Vater, du sagst ich hab eine große Sünde getan. Da bitt ich dich, daß du mir wolltest eine Tschuwe (Buße) setzen. Ich will sie gar gern empfangen.« Da sprach sein Vater wieder zu ihm: »Lieber Sohn, die Tschuwe, die ich dir sollt billig geben, die wär dir viel zu schwer. Du kannst sie nit halten.« Da sprach der Sohn: »Lieber Vater, ich will das alles tan, was du mir aufsetzt.« Da sprach der Vater wieder: »Willst du Kapore (Sühne) haben auf die Sünde, die du getan hast, so mußt du sieben Jahr in einem Stück wandern, un mußt nit mehr als eine Nacht auf einem Ort liegen, sonder Schabbes oder Jomtef. So du die Teschuwe wirst recht tun, so will ich dir orew (Bürge) sein, daß du wirst ein Kapore (Sühne) haben, un wirst dernach[170] fromme Kinder haben.« Also nahm er die Tschuwe (Buße) auf sich. Un zug sieben Jahr in einem Stück um zu lernen im Goles (Verbannung). Ein Teil Leut sagen er zug neun Jahre im Goles, damit er die Tage von Schabbes un Jomtef derfüllt. Eines Tags kam er in ein Almone (Witwen-) Haus. Da sprach er wider die Almone: »Verkauf alles was du hast, un kauf eitel Tewue (Getreide) derfür. Denn auf das andere Jahr, das da kommt, da wird es ein großes Jakres (Teuerung) geben, daß kein Mensch solches Jahr gedenken wird.« Also folgt die gute Frau dem Chossid, un verkauft alles, was sie hat, un kauft eitel Tewue dervor. Un wie es die Leute in der Stadt sahen, daß die Almone (Witwe) alles verkauft un kauft eitel Getreide derfür, da frägten sie die Almone, warum sie das tut. Sie sagt, der Chochom (Weise) hat mich das geheißen, der bei mir zu Gast is gewesen, denn er hat wider mich gesagt, auf das andere Jahr so wird ein großes Jakres sein, daß noch nit so großes Jakres is gewesen bei Menschengedenken. Un wie nun die Leut solche Rede hörten von der Almone, da gingen sie auch hin un verkauften das Ihrige un kauften eitel Getreide um das Geld. Da war dasselbige Jahr ein wolfeiles Jahr, das in vielen Jahren nit so ein gut Jahr is gewesen. Es war wolfeil, daß die Leut viel Geld mußten verlieren an ihrem Korn, das sie gekauft haben. Un der Chossid war sich sehr mezaar (kränkte sich), daß er die Leut um Geld gebracht hat. Er hat ja gemeint, es wär dasselbige Jahr ein Hunger kommen. Da nahm er auf sich, noch zwei Jahr also im Goles umzuziehn um der Sünde wegen. Aber das andere Jahr, da kam ein großer Hunger in das Land, un die Leut litten einen großen Hunger. Wie nun das teuere Jahr um war, da kam wieder eine Sättung in das Land. Un da nun der Chossid seine Buße hat aus getan, da kam er wieder heim zu seinem Vater un zu seinem Weib, un gewann wieder Kinder mit seinem Weib mit großen Ehren. Un gewann zwei Söhne auf einmal. Einer der war geheißen Rabbi Elieser un der andere Rabbi Awrohom un waren zwei große Herren in der Thauroh. Un dernach gewann er Rabbi Jehude Chassid den Frommen. Der Heilige, gelobt sei er, läßt uns alle seiner genießen. Omen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 170-171.
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