Hundertsiebenundsiebzigste Geschichte

[188] geschah an einem mächtigen Dukes (Herzog) in Regensburg, der war gar gut für Jehudim. Un allemal wenn er ausreist gab er seine Schlüssel über all seine Chefzes (Schätze) einem Juden. Ein Teil sagen er gab sie Rabbi Ephraim un ein Teil sagen an Rabbi Schmuel. Auf eine Zeit ziehet der Dukes aus, un gab den Schlüssel dem Rabbi, um daß er seine Schätze wol bewahren soll, gleich er allzeit getan hat. Nun auf eine Zeit, bei der Nacht, gingen ihrer neun Ganowim (Diebe) hin un brachen in dem Dukes seine Schatzkammer ein, un nahmen so viel mit als ein jeder tragen konnt. Un die Ganowim waren etliche Eraunim (Stadtleute), un die übrigen waren Bürgers aus dem Ort. Nun, zu morgens ging der Rabbi hin, un wollt zu den Schätzen sehn, gleich sein Seder (Gewohnheit) war. Un da er in das Gewölbe kam, so fand er gar wenig drinnen, denn sie hatten es bald alles herausgetragen. Da der Rabbi das sah, da derschrak er gar sehr, gleich man wol gedenken kann. Da ging er zu Rabbi Jehude Chossid un frägt ihn um ein Ezeh (Rat), wie er es da machen soll, daß er doch möcht wieder zu dem Seinigen kommen. Denn wenn der Dukes heim kommt, so möcht er ihn beschuldigen, un möchte ihn, Gott bewahre, um das Leben bringen. Un trieb einen großen Jammer, als wol zu gedenken war. Da sprach zu ihm Rabbi Jehude Chossid: »Komm mit mir.« Da führt ihn der Chossid an ein Fenster, un sprach zu ihm: »Sieh da hinaus, un tu nit anders als ich dich heißen werde.« Also macht der Chossid seine Schemaus (kabbalistische[188] Zeichen) un dernach frägt der Chossid den Rabbi: »Was seht ihr nun?« Denn das Fenster war gar hoch, daß man gar weit auf das Feld sehen konnt. Da sprach der Rabbi: »Ich sehe gar wol, daß das Cheder (Zimmer) da wir hinnen sind, gar hoch is über sich gegangen, un daß ich über all die Dächer, die in der ganzen Stadt sind, sehen kann.« Da frägt ihn der Chossid zum andern mal: »Was siehst du?« Da sagt der Rabbi: »Ich seh die Ganowim (Diebe), die mir die Genewe (Diebstahl) getan haben. Un sie tragen die Genewe in ihren Händen.« Da sprach der Chossid: »Gib wol Achtung drauf, wo sie die Genewe hintragen.« Da sprach der Rabbi: »Ich seh sie wol die Genewe gern unter die Erd verbergen. Aber so mich dünkt, so nehmen sie die Genewe wieder heraus un gehen mit der Genewe um, gleich als ob sie nit wüßten, wo sie die Genewe sollen hintun.« Da sprach der Chossid wider den Rabbi: »Sieh wo! wo sie mit der Genewe hin wollen.« Da sprach der Rabbi: »Jetzunder nehmen sie die Genewe, un gehn dermit in ein Schmied-Haus. Un ein Teil Ganowim (Diebe) reden mit dem Schmied Schmus (Geschwätz), un halten ihn mit Worten auf, daß er nit soll sehen, was die andern Ganowim tun. Denn sie begraben das Mammon in einem Pferdestall un decken die Genewe mit Mist zu.« Da sagt der Chossid: »Hast du recht gesehen, wo sie die Genewe haben hingetan? Un weißt du gewiß wo das Haus steht? Nimm dir Zeichen daran, um daß du weißt hin zu kommen. Un sei nunmehr wolgemut, denn sie können die Genewe nit weiter bringen. Un tu das nit anderst als ich dich heiß. Sieh, wenn der Dukes heim kommt, so fall ihm zu Füßen un bitt ihn um Gnade, un verzähl ihm deine Klage.« Da tät der Rabbi gleich ihm der Chossid geheißen hat. Un wartet bis der Dukes heim kam. So fiel er ihm zu Füßen un redet mit dem Dukes gleich ihm der Chossid geheißen hat. Da sprach der Dukes: »Steh auf, un laß mich hören deine Klage. Dir soll Gnade mitgeteilt werden.« Da verzählt der Rabbi dem Dukes, wie es ihm gegangen war mit den Ganowim. Da frägt ihn der Dukes: »Weißt du aber, wie viele ihrer Ganowim gewesen sind, un wer sie gewesen sind un woher sie gewesen sind? Un ob auch Bürgers aus der Stadt sind darunter gewesen?« Da sprach der Rabbi: »Mein gnädiger Herr, ich kenn sie all gar wol, un weiß auch wol, wo sie die Genewe hingetan haben.« Da sprach der Dukes: »Mein lieber Meister, so du wol weißt, wo die Genewe is, so nimm Leut genug mit dir, von meinen Leuten, un nimm die Genewe wieder, wenn du weißt wo sie is. Un bring sie wieder an den Ort wo sie vor(her) is gewesen.« Da sprach der Rabbi: »Nein, mein lieber Herr, laßt sie erst fangen un vor das Gericht stellen. Un wenn sie den Diebstahl bekennen, also laßt ihnen ihr Recht geben, gleich solche Leute verdient haben. Denn wenn sie sollten dasmal dervon kommen haben sie es heut getan, morgen täten sie es wieder.[189] Un man wird vor ihnen nit versichert sein. Denn es sind große, mächtige, stattliche Bürgers in der Stadt.« Da sagt der Dukes: »Herr Meister, ihr sagt recht von der Sach. Un wir wollen den Dieben auch ihr Recht tun, nach ihrem Verdienst, nit mehr. Sagt mir wer sie sind.« Da nennt sie der Rabbi alle nach einander. So schickt der Dukes nach den Eraunim un nach den Ganowim. Denn es waren etliche Eraunim die merkten es nit, was der Dukes von ihnen haben wollte. Denn, hätt der Dukes nach den Ganowim allein geschickt, dann hätten es die Eraunim gemerkt, un hätten vielleicht Pleite gemacht (Flucht ergriffen). Un da sie alle bei dem Dukes waren, da sprach der Dukes wider den Rabbi: »Lieber Meister, geht hin, un nehmt Leute genug mit euch von meinen Leuten un bringt mir das Geld heimlich her, denn ich will die Leut einweil bei mir aufhalten, daß sie von nix merken sollen. Darnach wollen wir es ihnen vorhalten, wie es mit der Sach gestellt is.« So nahm der Rabbi von dem Dukes Leute mit sich, un holt die Genewe. Un bracht sie vor den Dukes. Da sagt der Dukes: »Nun, ihr Bösewichter, vereinigt euch durcheinander, wer den Diebstahl getan hat. Denn ich weiß wol, daß ein Teil unter euch sind, die das gestohlen haben.« Da wußten die Ganowim, die es getan haben, nix zu antworten. Da war nun offenbar, wer die Ganowim waren. Da sagt der Dukes zu den andern Eraunim, sie sollten das Urteil aussprechen über die Ganowim, um daß sie ihm haben einen Eid geschworen, in allen Sachen treu zu sein. Un sie haben den schweren Eid gebrochen. Un daß die Diebe ihm sein Gewölbe aufgebrochen un das Seinige daraus gestohlen. Un daß sie hätten gern gesehen, daß ich meinen Hofjuden sollt beschuldigt haben, derweil ich ihm das Meinige zubetraue. Da ging das Urteil aus, daß man die Diebe an einen Galgen hängen sollt. Welches auch gleich geschah. Un der Hofjud war auch beschirmt vor dem Tod. So wird der Posuk (Vers) auch bestätigt an dem Frommen: Der Fromme wird vor dem Bösen beschirmt un der Rosche (der Bösewicht) kommt an seine Statt. Wie auch geschah.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 188-190.
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