Hundertachtundsiebzigste Geschichte

[190] geschah: Es wohnt ein großer Chossid zu Mainz. Der soll geheißen haben Rabbi Amnon. Der hat einen Sohn, der heißt Rabbi Elieser. Da nun der Vater sterben sollt, da hinterläßt er dem Sohn seine Zwoe (seinen Willen), er sollt all seine Tage nit über das Wasser fahren, das man nennt die Taune. Un der Rabbi Elieser hat nun zu Mainz viel hören sagen von Rabbi Jehude Chossid, un er hät gern zu ihm gezogen nach Regensburg. Denn er hätt gern von ihm eppes Thauroh gelernt,[190] denn er war eppes verwandt. Also zug Rabbi Elieser nach Rabbi Jehude Chossid über die Taune un hielt des Vaters letzten Willen nit. Un kam nach Regensburg zum Chossid. Wie ihn der Chossid sah, gab er ihm Scholaum (Friedensgruß). Un Rabbi Elieser dankt ihm wieder. Da sagt der Chossid zu ihm: »Ich hätt dir billig nit sollen Scholaum geben, denn ich seh wol, du hast deines Vaters Zwoe nit gehalten. Aber um deines Vaters Kowed (Ehre) willen hab ich dir Scholaum gegeben.« Da derschrak der Rabbi Elieser sehr um die Worte, die ihm der Chossid gegeben hat. Also war der Rabbi Elieser gar lang bei dem Rabbi Jehude Chossid. Un er hätt gern viel von ihm gelernt von Saudes (Geheimnissen) un sonst großen Sachen. Un zug ihn der Chossid all zeit auf, daß er ihm nix lernt un er war wol einen ganzen Sman (Zeit) bei ihm gewesen, daß er einen solchen weiten Weg gezogen war, un war lang aus seinem Haus gezogen, un hat doch nix von ihm gelernt. Nun, es kam einmal an einem Erew Pessach (Vorabend von Ostern), da war Rabbi Elieser gar traurig. Denn Ursach, er gedacht sich, jetzundert soll ich Jomtef (Feiertage) daheim sein, un den Seder geben (Ceremonie am 1. u. 2. Pessach-Abend), in meinem Haus, gleich wie jeglichem Baalhabajis (Hausvater) gehört zu tun. Un ich bin nun hie, un lieg über einem fremden Tisch. Ich hab ja gemeint Pessach wieder daheim zu sein, denn ich bin wol nun drei Tekufaus (Sonnenwenden) aus meinem Haus gewesen. Un mein Gesinde wird wol nit wissen wie es mir geht. Un gedacht so hin un her un war gar traurig. Nit allein, daß er so lang is haußen gewesen un hat derzu nix gelernt. Nun, Rabbi Jehude Chossid sah wol, daß er so gar traurig war un wußte sein Anliegen nun gar wol. Nit mehr, was der Chossid ihm getan hat, hat er ihm als lehachis (zum Trotz) getan, weil er seines Vaters Zwoe (Willen) nit hat gehalten. Da hebt der Chossid wider den Rabbi Elieser an: »Ich seh wol, daß du so gar traurig bist. Un ich weiß es wol warum du traurig bist. Un ich weiß auch wol dein Anliegen, daß du gern Jomtef daheim wärst bei deinem Weib un Kind, daß du ihnen den Seder sollst geben.« Da sagt Rabbi Elieser: »Ich hätt es gern gehabt, wenn es wär von Gott möglich gewesen. Nun kann es nit geschehn, denn es is heut Erew Pessach, so daß die Zeit nun versäumt is.« Da sagt der Chossid: »Was willst du mir schenken, wenn ich dich heut noch heim in dein Haus bring, eh Jomtef eingeht?« Da war der Rabbi Elieser noch trauriger un sagt wider den Chossid: »Rabbi, ihr höhnt mich noch derzu.« Da sagt der Chossid: »Nein, es is mir lauter Ernst.« Da sprach Rabbi Elieser: »Ich wollt einem geben was er begehrt, denn ich könnt keine größere Simche (Freude) haben als bei meinem lieben Weib un Kind zu sein.« Da sprach der Chossid: »Nun, es is zu spät wir müssen gehn Mazzes (ungesäuertes Brot) backen. Dernach will ich sehn ob du[191] kannst heim kommen.« Da verwundert sich Rabbi Elieser über den Chossid seine Rede. Da ging Rabbi Jehude Chossid Mazzes backen un Rabbi Elieser hilft ihm. Da nun die Mazzes aus dem Ofen geschossen waren, da sagt der Chossid wider Rabbi Elieser: »Nehm du die Mazze mit dir, un steck sie bei dir in den Busem. Denn du sollst die Mazze noch heimbringen, daß sie noch warm soll sein.« Da lacht Rabbi Elieser vor Simche un macht sich gleich fertig. Un der Chossid tät ihm die Mazze selbert in seinen Busem. Un ging mit ihm auf das Feld. Da war Rabbi Eliesar noch sehr traurig um daß er von dem Chossid nix gelernt hat, un sollt so wieder heim ziehn. Nun, Rabbi Jehude Chossid, der merkt es gar wol warum daß er so traurig war, un sagt wider den Rabbi Elieser: »Ich weiß dein Anliegen wol. Du hättest gern Saudes von mir gelernt.« Da sprach Rabbi Elieser: »Ja, denn ich bin derhalben her gekommen, um daß ich hab gemeint eppes zu lernen.« Da sagt der Chossid: »Es wär wol billig, daß ich nit mehr dir sollt lernen, derweil du deines Vaters Zwoe hast nit gehalten. Aber doch will ich dir eppes lernen, von wegen, daß dein Vater is mein Verwandter gewesen un ein frummer Mann is gewesen.« So nahm Rabbi Jehude Chossid den Stab, den er in seiner Hand trug, un schreibt damit auf der Erden in den Sand etliche Simonim (Zeichen) un sagt: »Lieber Rabbi Elieser lein du (lies du), was ich da geschrieben hat.« Wie er nun das geleint (gelesen) hat, da wußt er gleich so viel wie der Chossid. Un dernach mekt (auslöschen) der Chossid das Geschrift wieder ab un verdeckt es mit Sand. Da wußt er gar nix, un hat es als vergessen, was er vor gekonnt hat. Das tät Rabbi Jehude Chossid dreimal nacheinander mit dem Schreiben un mekt es allzeit wieder aus. Da war sich Rabbi Elieser gar sehr mezaar (es schmerzte), daß er allzeit vergaß, was er gelernt hat. Aber zum viertenmal schrieb der Chossid wieder auf den Sand etliche Wörter, un heißt Rabbi Elieser auflecken mit der Zungen. Das tät Rabbi Elieser. Un wie er die Wörter eingeschluckt hat mit dem Sand, da wußt er nun all so viel als der Chossid un vergeßt nix mehr. Un da er nun die Chochmes (Weisheit) von dem Chossid gelernt hat, da nahm er Reschuss (Abschied) vom Chossid. Un der Chossid benscht (segnet) ihn. Un er zug mit Freuden fort un war wolgemut, denn er vertrauet sich auf dem Chossid seine Red, daß er noch vor Jomtef sollt heim kommen. Un der Chossid sagt ihm Birkas Kohanim (den Priestersegen) nach un sagt so viel Schemaus (Zauberworte), daß er bald Mainz wieder vor sich sah. Un Rabbi Elieser kam in einer kleinen Weile heim. Un zu Abend, da man in Schul ging, sahen sie Rabbi Elieser in der Schul, un kol hakahal (die ganze Gemeinde) begrüßte ihn. Un fragten ihn, wo er die Nacht gelegen, un es is doch nit recht, daß ein Talmidchochom (Schriftgelehrter) soll am Erew Jomtef oder am Erew Schabbes wandern. Da sagt[192] Rabbi Elieser: »Ich bin heut Nachmittag zu Regensburg gewesen, un hab Rabbi Jehude Chossid helfen Mazzes machen. Zum Wahrzeichen, daß das wahr is, da hab ich noch bei mir eine warme Mazze im Busem, die mir der Chossid mit hergeben, daß ich soll meinem Weib mitbringen. Un gab an Kohel (Gemeinde) einen Brief auch, den der Chossid hat ihnen zugeschrieben.« Un sein Weib un Kind freuten sich gar sehr, daß er mit Freuden is wieder heimgekommen. Un war ein großes Wunder, daß er alsobald war heimgekommen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 190-193.
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