Hundertdreiundachtzigste Geschichte

[199] geschah einem Meschumed (Getauften), der war ein großer Rosche (Bösewicht) un hat gemacht, daß viele von Jisroel durch sein Rischess (Bosheit) sind umgekommen. Un das hat er viele Jahre getrieben. Einmal kam der Meschumed zu Rabbi Jehude Chossid un bittet ihn, er sollt ihm Tschuwe (Buße) setzen, denn er hätt große Charote (Reue) auf seine Sünde, die er getan hat. Un hebt an un derzählt dem Chossid viel große Sünden, die er sein Tag getan hat sinter die Zeit, daß er war ein Meschumed gewesen. Da der Chossid solche böse Stücke von dem Meschumed hört, da wollt er ihm keine Buße setzen, denn er sprach: »Deine[199] Sünden sind viel zu groß.« Un der Chossid schnitzt eben einen Dornstecken in seiner Hand. Un der Chossid sagt wider den Meschumed: »Also wenig als dieser Stecken kann grün werden, un also wenig als dieser Stecken kann grüne Blätter spreizen, also wenig hast du Kapore (Buße). Was soll ich dir denn für eine Buße setzen?« So ging der Meschumed wieder von dem Chossid hinweg un sprach: »Derweil mir der Chossid keine Buße will setzen, so will ich viel böser werden als ich vorher bin gewesen.« Un nit lang dernach, daß der Meschumed weg war, da sieht der Chossid wie der Stecken war grün geworden un hat auch grüne Blätter. Da verwundert sich der Chossid gar sehr, un gedacht an die Red, die er wider den Meschumed gesagt hat, un gedacht sich, der Meschumed kann noch Kapore haben, denn der Stab is wieder grün geworden. Un schickt von Stund an wieder nach dem Meschumed un sagt wider ihn: »Sieh ich hab dir wollen keine Buße setzen, denn ich hab gesagt, so wenig als dieser Stab grün wird, un Blätter spreizt, so wenig kannst du Kapore haben. Nun is mir der Stecken wieder grün geworden un grüne Blätter gespreizt. Nun sag mir, was für ein Gutes hast du getan? Derweil dir ein Ness (Wunder) geschehen is, darum will ich dir eine große Buße setzen. Un wenn du die Buße recht wirst tun, so wirst du wieder Kapore haben.« Da sprach der Meschumed: »Ich muß meine Sünde bekennen. Lieber Rabbi, ich will's euch sagen. So lang ich bin ein Meschumed gewesen, so hab ich keinem Juden nix Gutes getan, neiert all das Böse hab ich ihnen getan. Sonder allein einmal kam ich in eine Stadt, da wohnten gar viel Juden drinnen. Un die Gojim (Christen), die waren den Jehudim gar feind un wären sie gern poter (los) gewesen. Un wußten nit wie sie tun sollten. So trachten sie auf eine Lüge, warfen ein peger Mamser (toten Bastard) in ein Judenhaus un sagten die Juden hätten das Mamser (Bastard-Kind) getötet. Da sammelten sich alle die Bürger, die in der Stadt waren, un wollten einen Überlauf über die Juden machen un wollten sie alle töten. Da war ein Choschew (ein vornehmer Mann) im Rat, der war gar gut für die Juden, un sprach zu den Bürgers, die sich versammelt hatten, sie sollten sich nit so geschwind vergreifen um unschuldig Blut zu vergießen, denn wir wollen vor auf den Grund von der Sachen kommen, ob sie unser Blut müssen haben. Un wie wollen wir es gewahr werden? Das will ich euch sagen. Wir haben jetzunder einen getauften Juden hie, den wollen wir fragen, der wird es für gewiß wol wissen. Wird er sagen, sie müssen ja unser Blut haben, so haben sie gewiß das Mamser umgebracht. Spricht aber der getaufte Jud nein, sie brauchen kein Blut, da haben sie für gewiß es nit getan. Warum wollt ihr dann unschuldig Blut vergießen? So schicken denn die Bürger nach mir un beschwörten[200] mich gar hart, daß ich ihnen sollt die Wahrheit sagen, ob die Juden Blut müßten haben oder nit, da solches nun mit dem Mamser geschehen war. Da sagt ich ihnen auf meinen Schwur, als daß man den Juden damit Unrecht tut. Un sagte ihnen viel Simonim (Zeichen), daß es Scheker (Lüge) mußte sein. Fürs erste dürfen die Juden kein Fleisch essen, sie müssen sonst das Vieh erst schächten, um das Blut recht heraus zu bekommen. Un dernach müssen sie das Fleisch eine Stunde in Salz lassen liegen. Un dernach müssen sie es wol abwaschen, damit daß ganz kein Blut daran bleibt. Dernach steht in ihrer Thauroh geschrieben, daß sie gar kein Blut dürfen essen. Wie sollen sie denn das Blut von einem Menschen brauchen. Da sagten die Bürger, wenn es so is, so soll den Juden auch kein Leid geschehen. Un so war die Gesere (das Unglück) abgewendet. Hätt ich aber ja gesagt, so wären sie, Gott bewahre, alle um ihr Leben gekommen. Das is das Beste, das ich all mein Tag getan hab.« Da sprach der Chossid: »Das is ein gutes Stück gewesen.« Da setzt er ihm Buße un er hielt sich wol un war ein frommer Jehude.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 199-201.
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