Hundertvierundachtzigste Geschichte

[201] geschah in Rabbi Jehude Chossid Zeiten. Da war ein Sar (Fürst), der war ein sehr reicher Mann von großer Jichus (Herkunft) geboren, aus dem Stamm von einem König. Un er war gar reich an Edelsteinen, die nit zu schätzen waren. Nun hat derselbige Sar eine einzige Tochter, die wollt er keinem geben, oder er wär so reich als er war. Denn der Sar meint, daß seinesgleichen mit Reichtum nit zu bekommen wär. Es geschah einmal, daß ein Sched (böser Geist), Gott sei bei uns, kam, un macht sich zu einem schönen jungen Mann, gleich wie ein König. Un bracht mit ihm gar schöne Schätze von Edelgestein un Perlich, das da sein Tag nit auf der Erden schöner is gesehen worden. Un bracht auch großen Mammon mit sich, welcher nit zu schätzen war. Un er ging zu dem Sar un sprach: »Gnädiger Herr, ich hab gehört, ihr habt eine einzige Tochter, un die wollt ihr niemandem geben, er wär denn so reich als ihr seid un auch von gutem Geschlecht wie ihr seid.« Da sprach der Sar: »Ja, dasselbige is wahr.« Da sprach der Sched: »So gebt mir sie denn, denn ich bin also reich als ihr seid, un bin auch also von gutem Geschlecht als ihr seid. Un so ihr's nit wollt glauben, so kommt mit mir, so will ich es euch weisen von allerlei Edelgestein un Perlich un von köstliche Kleider un Silber un Gold, welches ihr mit eueren Augen all euere Tage nit schöner sollt gesehen haben.« So ging der Sar mit dem Sched in seine Herberge in seine Kammer. Da weist der Sched dem Sar gleich[201] wie er ihm gesagt hat. Un er sagt zum Sar: »Das is noch alles nix. Wenn ich euere Tochter werd zu meinem Weib haben, un ich werd sie heim bringen, da wird sie erst einen Reichtum sehen. Denn ich bin ein König der mächtiger is, als jetzundert ein König auf der Erde is. Ich gedenk aber wol, daß ihr's selbert seht, was an mir zu tun is. Ich glaub nit, daß ein Mensch auf Erden is, der so viel vermag, als ich euch gewiesen hab. Will verschweigen, was ich derheimen hab. Ihr könnt auch wol sehen an meiner Gestalt, daß ich ein Königsohn bin. Derhalben, wollt ihr mir euere Tochter zu einem Weib geben, so laßt es mich wissen.« Da fragt ihn der Sar: »Von wannen seid ihr her, mein lieber Herr? Oder wie heißt euer Königreich? Oder in was für Landschaft liegt es?« Um das kurz zu schreiben der Sched war dem Sar viel zu klug. Un der Sched überredet den Sar also, daß er ihm die Tochter zu einem Weib gab. Un der Sar ließ ausrufen, alsoweit als sein Land war, als daß er seine Tochter ausgegeben hat, un daß ein jeder sollt kommen auf die Hochzeit. Un er macht eine mächtige Hochzeit. Un da war viel Freud von Tanzen un Springen von Stechen un Turnieren, gleich wie auf so einer Hochzeit gebührt. Un da nun die Hochzeit vorbei war, da sprach der Sched zu dem Sar: »Mein lieber Schwäher, ich will nun gern mit meinem lieben Weib einmal heim in mein Land ziehn. Also versuch ich, daß ihr mir wollt Urlaub geben, denn ich hab meinem Volk verheißen, also daß ich nit lang außen bleiben will.« Da bittet der Sar seinen Eidam, er sollt noch länger bei ihm bleiben. Da wollt der Eidam kein Gedanken nit, denn er sagt er fercht sich, es sollt ihm großen Schaden zu bringen, wenn er sollt länger außen bleiben. Da nun der Schwäher sah, daß es nit anders kann sein, da gebot der Sar, daß viel Herren mit seinem Eidam sollten reisen un auch viele, die zu Fuß mit gingen. Un der Sar hat auch einen alten Mann bei sich, der war ein Lautenschläger bei ihm gewesen, un der konnt allerlei Saitenspiel. Der zieht auch mit dem Sched un wollt sein Land auch besehen. So ziehen sie miteinander weg und sein Hofgesind mit un mit viel Volk un mit großen Herren. Un der Sar mit der Sarin ziehten auch mit ihnen un gab ihnen das Geleit mit. Lesof (zum Ende) nahmen sie Urlaub voneinander mit großem Schreien. Der Sar kehrt wieder zurück un der Sched zieht mit seinem Weib un Volk wol drei Tagreisen. Da sahen sie eine schöne Stadt vor ihnen liegen. Da sprach der Sched wider sein Volk: »Kehrt ihr nur wieder um, denn ich will euch nit mit haben in der Stadt.« Da bat ihn das Volk gar sehr, daß er sie auch sollt lassen mit reiten in die Stadt. Da sprach der Sched: »Ich will es euch lassen genießen, derweil ihr so gar getreulich seid mit mir in fremdes Land gezogen. Un ich will euch mit Frieden wieder heim lassen ziehn. Sonst, wenn ihr nit so getreu wärt bei[202] mir gewesen, so wollt ich euch alle geschädigt haben.« Un er sagt, daß er ein Sched wär. Un der Sar hätt es versündigt mit seiner Tochter, derweil er sie hat niemandem geben wollen. Wie nun das Volk das hört, da derschraken sie gar sehr. Un die junge Frau derschrak auch, daß sie für tot lag. Denn sie gedacht sich, das kostet nun meinen Hals. Denn sie mußt wol mit ihm ziehn. Sie wär wol lieber mit ihrem Gesind wieder heim gezogen, es möcht aber nit sein. Da sprach der Sched zu dem Gesind, sie sollten wieder heimziehn. Da sprachen sie: »Wie sollen wir denn solches wider unsern Herrn sagen, wenn wir heim kommen? Auch wird er's uns nit glauben. Gebt uns ein Wahrzeichen, daß wir's unserm Herrn können sagen.« Da sagt der Sched: »Zum Wahrzeichen seid ihr mit mir da her in drei Tagen geritten. Un jetzunder müßt ihr wol drei Wochen drüber reiten. Da wird es euer Herr wol glauben, daß euch ein Sched geführt hat.« Also mußten sie Urlaub nehmen von dem Sched un zugen mit großem Weinen hinweg, un kamen in drei Wochen erst heim un sagten dem Sar wie es ihnen war gegangen auf der Reise un wie sein Eidam ein Sched war. Da schrien sie einen großen Jammer, was nun wol zu glauben steht, daß sie ihre Tochter so bös hätten aus gegeben, daß sie alle beide vor großem Leid und Bekümmernis starben. Nun ritt der alte Lautenschläger mit ihnen fort bis in die Stadt, da wohnten eitel Schedim (böse Geister), Gott sei bei uns. Also wohnt der Sched mit seinem Weib drei Jahr in der Stadt. Un in dem vierten Jahr, da sprach der Sched wider sein Weib: »Wolauf mein Weib, du mußt mit mir, denn deine Zeit is gekommen, daß du sterben mußt.« Also mußt sie mit ihm gehn. Un der gute Lautenschläger ging auch mit ihr. Also führt sie der Sched bis an die Tür vom Gehinnem (Hölle) un überantwortet sein hübsches Weib den Schedim in die Hände, die da die Leute verderben, die man bei uns nennt die Malache chabule (böse Engel). Also zugen sie die junge Frau in das Gehinnem, un der Sched ging wieder in seine Stadt zu den andern Schedim. Da sah der Lautenschläger in das Gehinnem hinein un sah dorten auch einen Lautenschläger sitzen, im Gehinnem, den kennt er, denn sie waren Chawerim (Gesellen) bei einander gewesen. Da sagt er zu ihm: »Sag mir, mein lieber Gesell, was machst du hinnen im Gehinnem?« Da antwortet er ihm: »Siehst du nit, daß ich schlag auf Lauten im Gehinnem?« Un er sagt ihm: »Beileibe hüte dich, daß du nit gehst mit deiner Frau, mit der du bist hergekommen. Denn sobald als du zu ihr gehst, so mußt du auch hinnen bleiben. Denn sie is nun überliefert worden an die Schedim. Derhalben geh du nit zu ihr.« Da sprach der Lautenschläger, der haußen gestanden war, zu dem, der hinnen war: »Sag mir, Lieber, warum bist du nit verbrennt, du bist doch in Gehinnem? Ich meint, einer verbrennt gleich, wenn er in das Gehinnem kommt. Du[203] mußt doch eppes Gutes getan haben, daß du nit ganz verbrennt bist.« Da antwortet der Lautenschläger ihm wieder: »Ich weiß nix Gutes, daß ich all mein Tag getan hab, sondern allein, daß ich den Juden auf ihren Hochzeiten aufgespielt hab, un hab sie fröhlich gemacht, das helft mir nun.« Da gedacht der Lautenschläger, der haußen stund, der is nit verbrannt im Gehinnem, weil er hat aufgespielt mit der Lauten, un hat sie fröhlich gemacht, wie is denn einer, der ein ganzer Jud is worden. »Ich halt, derselbige kommt zumal nit in das Gehinnem.« Un sprach zu ihm: »Lieber, gib mir einen guten Ezeh (Rat), daß ich wieder heim kann kommen auf den rechten Weg. Un gib mir auch ein Wahrzeichen, daß ich solches mit dir geredet hab. Denn wenn mir Gott das Glück gibt, daß ich wieder zu Leuten komm, da werd ich können sagen, wie du mit mir geredet hast, da wird man mir glauben.« Da sprach er zu ihm: »Gereich mir deinen Finger her un rühr mich mit deinem kleinen Finger an, so wirst du große Wunder sehn.« Da rührt er ihn an. Da war der Finger ganz derzunden un brennt ihm un könnt ihn nit derlöschen. Un weist ihm den rechten Weg, wo er hingehn sollt. Also ging er wieder von ihm, aber der Finger brennt ihn. Über eine kleine Weile war ihm nun ein ganzes Glied verbrennt. So kam er wieder auf den rechten Weg un überall wo er kam, so fragt er nach Jehudim. Lesof (zum letzten) kam er in eine Stadt, da saßen viel Jehudim drinnen. Da wollt er haben, sie sollten ihn bekehren. Da sagten sie zu ihm: »Geh du zu Rabbi Jehude Chossid, der wird dich bekehren.« Also ging er von ihnen weg, un wollt nach Regensburg gehn zu dem Chossid. Un wie er noch drei Meilen nach Regensburg hat, da kam es dem Chossid benewue (prophetisch) in den Sinn, daß ein solcher Mann kam. Un sagt wider seine Bocherin (Schüler): »Ich schmeck (rieche) das Feuer von dem Gehinnem. Un da wird einer kommen, der is ein Goj, der wird nach mir fragen. Sagt ihr ihm, ich bin nit derheim, er kann nit zu mir kommen. Fragt ihr ihn, was er will, wird er sagen, ich will mich megajer sein (bekehren lassen). So bekehrt ihr ihn, daß der böse Geschmack von dem Gehinnem von ihm möcht gehn.« Also kam der Lautenschläger zu den Bocherim gen Regensburg. Un er sagt, er wollt sich bekehren lassen, wo der Herr wär. Da sagten sie, er wär nit derheim, er könnt nit zu ihm kommen. Da sagt er: »Ich wollt mich lassen gern megajer sein.« Da bekehrten ihn die Bocherim in einem Cheder (Zimmer) da sie der Chossid geheißen hat. Von Stund an war das Feuer vom Gehinnem verlassen un schmeckt nimmer nach dem Gehinnem. Da kam der Chossid un fand den Lautenschläger in seiner Stuben sitzen. Da fragt er ihn, was sein Handel wär gewesen, oder von wannen er her käm mit dem Feuer aus dem Gehinnem. Da sagt er ihm alle Geschichten, wie es ihnen gegangen wär un wie es dem Sar mit seiner Tochter auch gegangen wär. Un der Chossid lernt mit ihm un ward ein frommer Jud.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 201-204.
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