Hundertachtundachtzigste Geschichte

[207] geschah in Rabbi Jehude Chossid zeiten. Da war zu Regensburg ein Torhüter, der war ein großer Rosche (Bösewicht). Un wenn ein Jud starb, da mußt man das Meß (Leiche) zu demselbigen Tor heraus tragen. Un wenn man nun das Meß heraustragt, da hebt er an zu leuten vor großem Rischess (Bosheit). Un da nun Rabbi Jehude Chossid krank war un wollt sterben, da schickt er nach kol hakahal (der ganzen Gemeinde) un sagt zu ihnen: »Liebe Rabbaussei, da lieg ich in Gottes Gewalt, un werde sterben. Da will ich euch ein Zeichen geben, daß ihr sehn sollt, daß ich ein Benaulomhabo (Sohn des Jenseits) bin. Un das soll das Zeichen sein, wenn man mich wird zum Tor heraus tragen, da wo der Rosche drauf wohnt, da wird er anheben zu leuten, wie seine Art is, so wird der Turm umfallen, daß man mich wird nit können zum selbigen Tor heraus tragen. Un wenn das selbige geschieht, so sollt ihr wissen, daß ich in das Gan Eden komm.« Un als der Chossid mit Gottes Willen sturb, un man wollt ihn zum Tor heraus tragen, sobald war es der Rosche gewahr un hebt an zu leuten. Da fiel der Turm gar um un derschlug den Torhüter, daß man den Chossid nit konnt zu derselbigen Pforte heraus tragen. Wenn einer das nit glauben wollt, so geht nach Regensburg, da werdet ihr es sehen un hören. Warum? Denselbigen Turm kann man nimmer bauen. Man hat ihn vielmal wieder aufgebaut, un so oft als man ihn aufgebaut hat, so fällt er wieder ein un bleibt nit stehn.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 207.
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