Zweihundertste Geschichte

[229] geschah an einem, der hat geheißen Rabbi Rëuwen. Der war ein großer Zaddik un lernt Tag un Nacht. Un sein Gebet, das war bei dem Heiligen, gelobt sei er, wol angenommen. Denn wenn, Gott bewahre, eine böse Gesere (Verhängnis) vorhanden war, da wendet er sie mit seinem Gebet ab. Un hat nit mehr als einen einzigen Sohn, der war ein feiner Bocher (guter Schüler). Einmal kam der Malach hamowes (Todesengel) zu Rabbi Rëuwen un sagt ihm: »Ich soll dir sagen von dem Heiligen, gelobt sei er, daß deines Sohnes Zeit is gekommen, daß er sterben soll.« Da sprach Rabbi Rëuwen: »Was Gott tut, das kann niemand wehren oder wenden. Aber ich bitt dich, laß mich vor(her) meinem Sohn ein Weib geben. Dernach tu, was dir befohlen is. Denn ich wollt vor die Simche (Freude) haben, daß ich meinen Sohn unter die Chuppe (Trauhimmel) führ.« Da sprach der Malach hamowes (Todesengel): »Eis sei dir zugesagt, daß du deinem Sohn vorher ein Weib gibst.« So ging der Chossid gar ungemut heim, un legt seinem Sohn ein Knaß (Verlobungszeremonie) un die Hochzeit sollt in vier Wochen werden. So nahmen es die Leute sehr wunder, daß er so bald sollt die Hochzeit machen. So schickt der Rabbi Rëuwen seinen Sohn aus, daß er sollt etliche Leut auf die Breiluft breien (Hochzeit laden). Also ging der Sohn un wollt Leute bitten auf seine Chassene (Hochzeit). Begegnet ihm Elijohu hanowi (Prophet Elia) un sprach zu ihm: »Mein lieber Sohn, wo willst du hingehn?« Da sagt er: »Ich will gehn die Leut auf meine Chassene (Hochzeit) bitten.« Da sagt ihm Elijohu hanowi: »Weiß du denn nit, daß du mußt sterben vor deiner Breiluft (Hochzeit), un der Heilige, gelobt sei er, will dir deine Neschome (Seele) nehmen, denn deine Zeit is gekommen, daß du sterben mußt.« Da sagt der Chossen (Bräutigam) wider Elijohu hanowi: »Will es denn der Heilige, gelobt sei er, haben, da will ich es gewilliglich annehmen, denn ich bin nit besser als unsere Eltern Awrohom, Iizchok un Jakew, die sind auch gestorben.« Da sprach Elijohu hanowi: »Ich will dir einen guten Rat geben, wie du ihn tun sollst. Wenn es wird an deiner Broche (Trauung) sein, un die Leut werden sitzen an dem Tisch, setz dich zu ihnen an den Tisch, un eß un trink nix mit ihnen un schlag deine Augen unter. So wird einer kommen mit bloßem Haupt, un seine Haare werden ihm verwirrt sein. Un er wird zerrissene Kleider anhaben. Alsobald als er wird in die Stub kommen, un sobald als du ihn siehst, steh von dem Tisch auf,[229] un geh hervor, un neig dich zu ihm, un empfang ihn gar schön. Un heiß ihn obenan sitzen bei den köstlichen Leuten, die an dem Tisch sitzen. Will er aber nit obenan sitzen, so setz dich neben ihn, un tu ihm große Ehre an, un laß ja nit, was ich dir befehl.« Un so ging der fromme Elijohu hanowi wieder seiner Straße weg un der Sohn sprach, er wollt ihm folgen. So breiet er vor sich auf seine Chassene (Hochzeit) un nahm sich nix an, als wenn niemand bei ihm war gewesen. Un kam heim zu seinem Vater un sagt: »Lieber Vater, ich hab ausgerichtet, was du mir hast befohlen.« So rüstet sich der Vater auf die Hochzeit un es nahm sich keiner nix an, Vater oder Sohn. So kamen die Leut zu der Broche (Trauung). Wie nun jedermann am Tisch saß un ißt un trinkt, da saß der Chossen (Bräutigam) bei ihnen un war gar traurig. Aber es wußt niemand warum der Chossen so traurig war. Un wie sie nun hatten eine Weile gegessen, da kam ein Zerrissener un mit bloßem Haupt, der war gleich wie ein Bettler, in die Stub zu gehn. Das war der Malach hamowes, der hat sich gemacht zu einem Bettler, wie ihm Elijohu hanowi gesagt hat. Un wie ihn der Chossen sah, da wußt er gleich wol, wer er war, un stund von dem Tisch auf, un ging hervor, un nahm den alten Mann bei der Hand un sprach: »Kommt mit mir her, un setzt euch obenan.« Da wollt er nit. Da nahm ihn der Chossen bei der Hand un setzt den zerrissenen Mann neben sich an seine Seite un bracht ihm allerlei gute Speisen. Un ließ ihn sehen als wenn er essen sollt. Un der Chossen hielt alles wie ihm Elijohu hanowi befohlen hat. Un die Leut, die an dem Tisch saßen, die nahm es all groß Wunder, daß der Chossen den so gar ehrte. Un der Chossen war sehr derschrocken, daß er bald nit mehr reden konnt. Da hebt der Mann an zu reden wider den Chossen: »Mein lieber Sohn, ich will dich eppes fragen. Wenn du willst ein Haus bauen un du bedarfst Stroh, das du in den Lehm mußt haben, wo willst du dasselbige Stroh nehmen?« Da sprach der Chossen: »Ich wollt zu dem Mann in die Scheuer gehn un wollt Stroh von ihm kaufen. Denn derselbige Mann macht das Stroh.« Da sprach der andere Mann: »Wenn du aber das Stroh vermacht hast, un der Mann käm von der Scheuer un wollt sein Stroh wieder haben, wie willst du ihm da tun?« Da sprach der Chossen: »Ich wollt ihm sein Stroh bezahlen, oder ich wollt ihm ander Stroh derfür geben.« Da sprach der Mann wieder: »Wenn er aber kein anderes Stroh will haben, denn sein eigenes, das er dir gegeben hat, wie willst du ihm dann tun?« Da sprach der Chossen: »So wollt ich den Lehm wieder zerklopfen, un wollt das Stroh wieder heraus nehmen damit daß er sein Stroh wieder bekommen sollt.« Da sprach der Mann wider: »Der Heilige, gelobt sei er, is der Mann über der Scheuer. Das Stroh is die Neschome (Seele), die in einem Menschen is. Un ich bin Malach hamowes (der Todesengel),[230] denn der Heilige, gelobt sei er, will Stroh wieder haben, das er dir gegeben hat, daß ich dir deine Neschome will nehmen.« Wie nun das die Leut hörten, da derschraken sie alle miteinander. Un der Chossen, der dermahnt sich, un sagt wider den Todesengel: »Is es denn so, daß es Gott haben will, daß ich sterben soll, so bitt ich dich gib mir vor(her) Reschuss (Urlaub), daß ich vor zu meinem Vater un Mutter un meiner lieben Kalle (Braut) gehe, un will sie vorher gesegnen (verabschieden). Dernach will ich gern sterben.« Da sagt der Malach hamowes: »Ja, geh hin.« Da ging der Chossen zu seinem Vater un Mutter und Kalle un gesegnet sich mit großem Weinen. Da hebt der Vater an un betete. Dieweil ging der Chossen zu seiner Kalle un wollt sich gesegnen. Da hebt die Kalle an zu ihrem Chossen: »Wer will dir deine Neschome nehmen?« Da sagt der Chossen: »Der Malach hamowes is vorhanden un will mich töten«, un küßt sie mit großem Weinen. Da sprach die Kalle wider den Chossen: »Bleib du hinnen, ich will zum Malach hamowes gehn.« Un ging also zu ihm un sprach zu ihm: »Bist du, der meinem Chossen will sein Leben nehmen?« Da sagt der Malach hamowes: »Ja, ich bin der Mann.« Da sagt die Kalle: »So bitt ich dich, daß du sollst zu dem Heiligen, gelobt sei er, gehn un willst ihm sagen, es steht doch geschrieben in der heiligen Thauroh, ein Mann, der da nimmt ein Weib, der soll ledig sein ein ganzes Jahr von allerlei Dingen un soll sich freuen mit seinem Weib, die er genommen hat. Un jetzundert will der Heilige, gelobt sei er, seine heilige Thauroh, Gott behüte, selbert unrecht machen?« Wie nun das der Malach hamowes hört, da hat er auch selbert Rachmones (Mitleid) über ihn un ging selbert vor den Heiligen, gelobt sei er, un bat für ihn. Un andere Malochim (Engel) die baten auch gar sehr für ihn. Un der Vater tät auch große Tefille (Gebete). Da hat der Heilige, gelobt sei er, Erbarmen über ihn un derlängt ihm sein Leben sieben Jahr gegen sieben Tage der Breiluft. Un darauf is worden gesagt: der Heilige, gelobt sei er, tut den Willen denen, die ihn fürchten un anrufen mit ganzem Herzen. Dem hilft der Heilige, gelobt sei er, sonder allen Schmerzen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 229-231.
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