Hundertneunundneunzigste Geschichte

[227] geschah: Es war einmal ein Chossid, der hat einen Sohn. Wie er nun sollt sterben, da ließ er seinen Zwoe (letzten Willen): »Lieber Sohn, da lieg ich in Gottes Gewalt un werd sterben. Da bitt ich dich, daß du alle Tag willst gehn nach meinem Tod an das Wasser un willst ein Stück Brot in das Wasser werfen, den Fischen zum essen. Denn ich weiß, daß es dir zum letzten wird bezahlt werden.« Der Sohn verheißt es dem Vater mit weinedigen Augen. Un sprach: »Lieber Vater, ich hoff nit, daß du sollst sterben. Aber was du mir tust gebieten, das will ich alles, will's Gott, halten, wenn es schon noch so viel wär, als du mir hast geboten.« So sturb der Chossid mit großer Klag un Rachmones (Erbarmen), denn er war gar ein frommer Mann. Da nun die schiwo Jomim (7 Trauertage) aus waren, da hebt der Sohn an, un ging alle Tag zum Wasser un warf ein Stück Brot hinein, gleich wie sein lieber Vater hat letzwillig gesagt. Da war ein Fisch in dem Wasser, der fing das Brot als auf, wo der Jung hineinwarf. Un wenn ein kleiner Fisch wollt das Brot auffangen, da war der große Fisch da, un stoßt die kleinen Fische weg, daß er zum letzten nun gar groß ward von dem frischen Brot, das der Jung hinein warf. Da nun die kleinen Fische sahen, daß sie nix von dem Brot könnten genießen, da gingen sie hin zu dem Lewiathan, das is der König über all' die Fisch, wie wir wol in die Bücher finden. Un klagten es ihm un sagten: »Herr König, wenn du es wirst zusehen un wirst dem Fisch nit wehren, so wird es so groß werden wie du bist. Darum sieh, daß du ihm's wehrst.« Wie nun der König die Geschichte hört, da sprach er zu den Fischen: »Geht hin, un grabt eine Grube an dem Ort, da der Mensch pflegt hinzugehn, wenn er das Brot hinein wirft, daß er herein muß fallen. Un sagt dem großen Fisch, daß er euch soll helfen derzu, un bringt den Menschen herein zu mir.« Da waren die kleinen Fische alle froh, daß es dem großen Fisch war gewehrt worden. Da gingen sie hin un sagten es dem großen Fisch, wie der König gesagt hat, daß er derzu helfen müßt um den Menschen zu fangen. Da war der Fisch gar traurig derzu, denn er hat sich von dem Brot ernährt un mußt es tun weil es der König ihm geboten hat. Also gingen sie hin un machten eine Grube, wie der König geboten hat, an dem Wasser, wo der Mensch sollt hinkommen. Wie nun der Jung kam, un wollt das[227] Brot herein werfen, wie seine Gewohnheit war, da fiel er in das Wasser. Da kam der große Fisch un schlang ihn ein un führt ihn vor den König un spie ihn wieder aus. Un da ihn der Fisch hat ausgespien, da schlang ihn der König ein. Da treibt der Mensch einen großen Jammer, daß er so eine große Not mußt leiden über seines Vaters Zwoe (letzten Willen). Da hebt der König wider den Menschen an: »Sag mir, was meinst du damit, daß du alle Tag bist an das Wasser gegangen un hast Brot herein geworfen?« Da hebt der Mensch an: »Mein Herr König, ich halt meines Vaters Zwoe.« Un sagt dem König, wie ihm sein Vater befohlen hat, daß er alle Tag soll Brot in das Wasser werfen, denn es wird ihm zum letzten wol bezahlt werden. Aber er könnt nit wissen womit er's versündigt hat, daß er in das Wasser is gefallen. Wie nun der König solches von dem Menschen hört, da sagt er wider ihn: »Weil du dein Vaters Gebot hast so wol gehalten, so will ich dich lassen lernen siebzig Sprachen. Das sollst du genießen.« So lernt ihm der König, daß er siebzig Sprachen konnt. Un spie ihn wieder auf die Trockenis, daß er davon gar schwach war un hätt gern geschlafen, un legt sich nieder un schlief. Da stunden dorten auf einem Baum zwei schwarze Krähen, das war ein Sohn un ein Vater. Da sagt der Sohn zum Vater: »Wie gelustet mich dem Menschen die Augen zu essen, der dorten liegt«, denn sie meint der Mensch wär tot. Da sagt der andere Kräh: »Nit niedere dich zum Menschen, denn er macht sich also schlafen, un möcht dich dernach begreifen un möcht dich töten.« Da sagt der Sohn wider den Vater: »Ich will es wagen.« Nun hat der Mensch gelernt im Wasser, daß er alle Sprachen verstehen konnt un verstund auch, was die zwei miteinander reden. Da kam die Kräh un setzt sich auf den Menschen, un wollt ihm die Augen auspicken. Da derwischt ihn der Mensch un wollt ihn töten. Da schrie die andere Kräh: »Ei, wie geschieht dir wol recht. Ich hab dir's ja vor gesagt, du sollst nit niedern zu dem Menschen, un du hast mir nit wollen folgen.« Un sprach zum Menschen: »Lieber, laß mir meinen Sohn gehn, ich will dir einen Schatz weisen voll Geld, daß du sollst reich un selig werden.« Da sprach der Mensch: »Wenn ich ihn seh, so will ich dir deinen Sohn ledig lassen.« Da sagt die Krähe: »Dorten, geh unter jenen Baum un grab drunter, so wirst du reich un selig werden.« Da ging der Mensch hin un grabt unter dem Baum, da fand er einen großen Schatz, das nit zu derzählen war. Da ließ der Mensch die Krähe gehn. Da sagt der Mensch: »Seht einmal, daß mich der Heilige, gelobt sei er, hat gebenscht (gesegnet) un hat mir den großen Schatz gegeben. Da will ich mir ein schön Haus bauen.« Un bauet sich ein schönes Haus, un kauft schöne Acker un Wiesen, Knecht un Maid un war so reich, daß nit zu derzählen war. Das beschert ihm als der Heilige, gelobt sei er, weil er sein Vaters Gebot hat gehalten. Derhalben ihr lieben[228] Leut, seht was die Geschichte beteut. Halt ein jeglicher seiner Eltern Gebot stets, so geht es ihm zum letzten gar wol, gleich wie diesem Menschen auch da geschehen is. Drauf wollen wir Omen sagen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 227-229.
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