Hundertachtundneunzigste Geschichte

[225] geschah einmal es kam ein Schiff voll mit Jehudim aus dem Goles von Jeruscholajim. Un kamen in eine Stadt, da wohnt ein Hegmon (Statthalter, Bischof) drinnen. Da schickt der Hegmon nach den Jehudim un frägt sie: »Was seid ihr für ein Volk?« Da sprachen sie: »Wir sind Jehudim.« Da sprach der Hegmon: »Wenn ihr Juden seid, so will ich euch auch versuchen, gleich wie versucht is worden Chananje, Mischoel un Asarje. Dieselbigen hat man in einen heißen Kalkofen geworfen. Un wenn ihr auch beschirmt werdet werden, gleichwie sie beschirmt sind worden, un ohne geschädigt heraus kommen werdet, dann will ich glauben, daß ihr rechte Juden seid.« So sagten die Jehudim: »Gib uns drei Tage Zeit, so wollen wir unsern Gott bitten, daß er uns soll beschirmen, gleich wie es da beschirmt is worden Chananje, Mischoel un Asarje.« Da gab ihnen der Hegmon das zu. Un hebten sie an zu fasten drei Tage und drei Nächte. Un alle Morgen von den drei Tagen mußt ein jeglicher sagen, was ihm geträumt hat dieselbige Nacht. Wie es an den dritten Tag kam, da kam ein alter Mann von ihnen, der war gar gottesfürchtig un sagt er hat heut geträumt, wie man mir ein Posuk (Vers) hat vorgeleint (vorgelesen), un in dem Posuk hat zweimal gestanden »ki« (denn) un dreimal lau (nicht). Ich weiß aber nit, was er bedeutet. Un weiß auch nit, wo der Posuk geschrieben steht. Da war ein alter Mann unter ihnen, der war ein großer Lerner. Der sagt: »Der Traum, den du gesehen hast, das bedeutet, daß dir der Posuk wird eine große Hilfe sein, un der Heilige, gelobt sei er, wird sich über uns derbarmen. Un der Posuk steht in Jesaias Kapitel drei und vierzig. Un du wirst gewiß der sein, der in das Feuer gehn wird. Un du wirst auch beschirmt werden, derweil es dir so geträumt hat. Un der Posuk is für dich im Himmel ausgerufen worden.« Nach drei Tagen ließ der Hegmon ein großes Feuer anmachen, un schickt nach den Jehudim un sagt zu ihnen, die Zeit wär nun vorbei, die sie von ihm begehrt hätten. Darum mußten sie nun in das Feuer gehn. Denn sie sollen nun sehn ob sie ihr Gott wird beschirmen, gleich wie er hat beschirmt Chananje, Mischoel un Asarje. Un derselbige Tag war eben ein Chogge (christlicher Feiertag), daß sich gar viel Volk versammelt hat, un wollten zusehen. Also ging der alte Mann, der also geträumt hat, mit noch zwei Mannen in das Feuer ungeheißen un ungedrungen. Da zerteilt sich das Feuer in drei Teile. So gingen die drei Mannen ungeschädigt aus dem Feuer. Da nun das der Hegmon sah, wie ihnen nix geschehen war, so hebt er an un sagt: »Solches Volk is mir mein Tag nit unter meine Augen gekommen, als das jüdisch Volk is. Denn wenn sie ihren Gott anrufen, also werden sie stracks derhört.« Un sie hebten miteinander an, den Heiligen, gelobt sei er, zu loben. Un sagten, gelobt sei[226] Gott immer un ewig. Und die drei Mannen machten das Gebet, das man am Montag un Donnerstag sagt. Derweil das Bethdin (das Gericht), die selbigen Tage sitzt. Derhalben vertraue ein jeglicher zu Gott, der uns in Nöten nit verläßt.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 225-227.
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