Zweihundertachte Geschichte

[249] geschah an einem Mann, der war ein großer Auscher (sehr reich) un wohnt nahe bei Jeruscholajim. Nun, es war einmal auf eine Zeit so kam ein Kutäer un bracht ein Pfand zu dem reichen Mann, er sollt ihm drauf leihen. Da sprach er wider sein Weib, sie sollt hinauf gehn in die Kammer, un sollt über die Kiste gehn un sollt Geld holen. Da ging die gute Frau hinauf. Un wie sie die Kammer auf tät un wollt das Geld herauskriegen, da ruft eine Stimme un sagt: »Laß das Geld liegen, denn es is nit dein.« Da die Frau das Geschrei hört, da derschrak sie gar sehr un ging also wieder herab, un sagt es dem Mann wie es ihr gegangen war, er mag selbert hinauf gehn un das Geld holen. Da ging der Mann selbert hinauf un wollt Geld holen. Da kam die Stimme wieder un sprach: »Laß liegen das Geld, denn es is nit dein.« Da das der Mann hört, so derschrak der Mann auch gar sehr. Lesof (zuletzt) dermannt er sich wieder un sprach wider: »So das Geld nit mein is, so laß mich den wissen, dem es zukommt.« Da antwortet ihm die Stimme wieder: »Wenn du es ja wissen willst, so sei wissend, daß es Rabbi Awrohom Drechsler von Jeruscholajim zugehört.« Da gedachte der gute Mann, derweil das Geld ja nit mein is, so will ich es auch nit haben. Un nahm das Geld un all sein Silber un Gold un Chefzes (wertvolle Sachen) un Tachschitim (Kleinodien), die er hat, un macht ein Loch in einen Baum, der in seinem Garten stund, un tät alles drein. Un ging wieder weg. Un nahm es für gut auf von Gott, daß er solches Böses auf ihn schickt. Über eine Zeit dernach begab es sich, daß ein groß Gewetter auskam, daß das Wasser viel Häuser un Bäume wegflizt. Also war der Baum, da all das Mammon[249] in war, auch weggeflizt. So kam ein Fischer gefahren un sah den Baum treiben. So gedacht der Fischer: »Das is ein schöner Baum um gut daraus zu drehen. Ich will ihn nach Jeruscholajim führen, denn ich kenn da einen Juden, der heißt Rabbi Awrohom Drechsler, der wird mir den Baum wol bezahlen.« Un fährt der Fischer mit seinen Fischen nach Jeruscholajim an Erew Schabbes (Freitag). So kam eben Rabbi Awrohom Drechsler zu gehn un wollt auch Fisch auf Schabbes kaufen. Da sprach zu ihm der Fischer: »Rabbi Awrohom, ich hab derheim einen schönen Baum, den hab ich auf dem Wasser bekommen, der wär gut für dich. Du kannst viel hübsche Sachen daraus drehen.« So ging Rabbi Awrohom mit dem Fischer heim, un besah den Baum un gefiel ihm gar wol un war mit ihm zufrieden un ließ den Baum in sein Haus führen. Un wie er den Baum derheim von einander spaltet, da fand er zu gutem drinnen alles was jener gute Mann hatt' drein getan. Also war der Rabbi Awrohom gar erfreut, daß ihm der Heilige, gelobt sei er, eine große Mezie (Fund) hat beschert. Nun, nit lang dernach begab es sich, daß jener gute Mann, der das Geld hat in den Baum getan, der war gar arm geworden un mußt im Land herum ziehn un mußt Almosen nehmen. Eines Tages sprach er nebbich wider sein Weib: »Liebes Weib, wir wollen eins tun un wollen doch gehn sehen ob unser Mammon gen Jeruscholajim is kommen, gleich wie uns die Stimme gesagt hat.« Also gingen sie alle beide nach Jeruscholajim in des Rabbi Drechslers Haus un nahmen sich alle beide von nix an. Un wie sie an einem Freitag da kamen, da macht eben Rabbi Awrohom Drechsler seinem Sohn ein großes Spinnholz (Fest am Vorabend der Hochzeit), gleich wie nun der Seder (Brauch) is, daß man hübsche silberne Becher auf den Tisch stellt. Un der gute Mann Un die Frau sahen da all ihre Kelim (Geräte) auf dem Tisch stehn. Da hebten sie an zu weinen. Da dersah dem Rabbi Awrohom sein Weib, daß die guten Leute weinten. Da ging sie zu ihnen un fragten sie warum sie also weinten. Da wollten sie ihr nix sagen. Da sprach die Frau wider sie: »Ihr habt ja für gewiß nit für nix geschrien.« Un baten sie so lang, bis daß sie ihr die ganze Geschichte sagten, wie die schönen Kelim, die da stehn, die waren alle ihnen gewesen. Un sagt ihr, wie es ihnen gegangen war mit dem Geld un mit der Stimme un wie der Baum weg gekommen un ob es also war. Denn wir sehen die Kleinodien un Schätze bei euch, wie die Stimme gesagt hat. Wie nun das Weib solches hört, da sprach sie: »Meine lieben Leut, seid fröhlich am Schabbes; so sie euer sind gewesen, so wollen wir sie euch alle wieder geben. Denn wir haben, gelobt sei der Heilige, genug, wenn wir selbst eueren Mammon nit haben.« Da sprachen die zwei Leut: »Wir wollen nix wieder haben, denn hätten wir das Mammon sollten behalten, so wär uns die Stimm vom Himmel nit gekommen. Denn wir sehen[250] ja wol, daß es euch beschert is. Derhalben wollen wir nix haben von dem Mammon. Denn wir haben es versündigt vor dem Heiligen, gelobt sei er.« Also schwiegen sie still. Un der Rabbi Awrohom ward die Geschichte auch gewahr von seinem Weib. So gingen sie hin un machten einen hübschen Kuchen, den sie ihnen mitgeben wollten auf den Weg. Un machten den Kuchen mit allerlei gutem Gewürz un tät in den Kuchen vierhundert Goldgulden, daß niemand wußt. Denn der Rabbi Awrohom dacht, wenn sie hinweg ziehn, so wollen wir ihnen den Kuchen mitgeben. Un wenn sie ihn werden aufbrechen so werden sie die vierhundert Gulden drinnen finden. Also wollten sie zu morgens früh am Sonntag hinweg ziehn un gesegnet (verabschiedet) sich mit Rabbi Awrohom un seinem Weib mit weinedigen Augen. Un Rabbi Awrohom wollt ihnen viel Geld mitgeben. Aber sie wollten nix haben. Lesof gaben sie ihnen den Kuchen mit un sagten zu ihnen: »Nehmt den Kuchen mit auf den Weg, er wird euch gar wol bekommen. Wenn es euch wird hungern, so brecht ihr ihn auf un labet euch dermit euer Herz.« So wollt die arme Frau den Kuchen auch nit nehmen. So bittet Rabbi Awrohom sein Weib un sie drängten so lange an sie bis sie den Kuchen nahmen. So ziehten sie in Frieden wieder weg. Unterwegen kamen sie in eine Stadt, da war ein Meches (Zoll) drinnen un sie hatten dem Zöllner nichts zu geben. So sagten sie zum Zöllner: »Wir haben kein Geld, nehmt diesen Kuchen für euern Meches (Zoll).« So hebt der Zöllner an: »Dieser Kuchen wird mir gleich recht kommen. Ich will ihn Rabbi Awrohom Drechsler von Jeruscholajim schenken auf seines Sohnes Chassene (Hochzeit). Ich werd darum willkommen sein.« Un der Zöllner nahm also den Kuchen un ließ sie in Frieden fortziehn. Un der Zöllner zieht nach Jeruscholajim un schenkt den Kuchen Rabbi Awrohom. Also bekam Rabbi Awrohom den Kuchen auch wieder mit dem Geld. Darauf hat der Posuk (Schriftvers) gesagt: »Mein is das Silber un Gold, spricht Gott der Allmächtige, gelobt sei er.« Un jenes Paarvolk (Ehepaar) sturben also in Armut derweil sie haben kein Zdoke (Almosen) gegeben. Also hat sie Gott gestraft. Drum auch, wer seinen Mammon wird salzen, daß er nit stinken wird, der soll viel Zdoke davon an die Armen geben, alsdann bleibt sein Mammon bestehn, aber umgekehrt auch so: Wenn einer seinen Mammon nit einsalzt un gibt keine Zdoke dervon, demselbigen wird sein Mammon nit bleiben, un wird mit ihm vergehn, gleich wie es mit jenen zweien auch gegangen is. Viel besser soll es uns gehn.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 249-251.
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