Einundzwanzigste Geschichte

[18] geschah dem Chossid (Frommen). Es begab sich einmal, daß man sollt den Rabbonim eppes ausrichten bei einer Goje (christliche Frau). un dieselbige Goje war gewöhntlich, daß all die Köstlichen von Rom bei ihr aus un eingingen, denn sie war gar choschew (vornehm). Da sagten die Rabbonim: »Wer soll unter uns gehn zu der Goje?« Da sagt Rabbi Jehauschue: »Ich will gehn.« So ging Rabbi Jehauschue mit seinen Talmidim (Schülern). Da sie nun schier kamen vier Ellen von der Goje ihr Haus, da zug Rabbi Jehauschue seine Tefillin (Gebetriemen) aus un ging in das Haus hinein un Schluß die Tür nach ihm zu un wollt die Talmidim nit mit hinein lassen. Un wie er nun wieder heraus kam, da ging er in das Bad un tauwelte (tauchbadete) sich, un lernt wieder mit seinen Talmidim, un er sagt wider seine Talmidim: »Lieben Leut, sagt mir, was habt ihr mich chausched gewesen (verdächtigt), da ich hab die Tefillin ausgezogen?« Da sagten die Talmidim: »Lieber Rabbi, was sollen wir euch verdächtigt haben? Wir haben gedacht, daß ihr habt die Tefillin ausgezogen, daß man darf nit ein heilig Ding an einen Ort mitnehmen, wo es unrein is.« Da sagt er wieder zu ihnen: »Was habt ihr mich aber verdächtigt, da ich die Tür hab vor euch zugeschlossen?« Da sagten die Talmidim wider: »Lieber Rabbi, wir haben gedacht, ihr habt ein Sach mit ihr zu reden, das den König trifft, un ihr habt es müssen mit ihr allein reden, daß wir nit haben dürfen zuhören.« Da fragt er sie wieder: »Da ich mich hab getauwelt, was habt ihr euch gedacht?« Da sagten die Talmidim: »Vielleicht is Speichet aus ihrem Maul auf euere Kleider gekommen, darum habt ihr euch getauwelt.« Da sagt Rabbi Jehauschue: »Bei der Awaudoh (so wahr ich Gott diene) wie ihr mich verdächtigt habt, so is es als gewesen. Sowol als ihr mich so verdächtigt habt, so soll auch der, dessen Name gesegnet sei, euere Werke zu Gutem gedenken. Omen.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 18-19.
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