Zweihundertfünfzehnte Geschichte

[265] geschah an einem, der heißt Rabbi Jechiel, der wohnt in Paris in Frankreich. Der war gar ein frommer Mann mit all seinen Werken. Un war ein großer Lerner in Kabbala im Techine un allerlei Philosoph, wie ihr noch wol von seinen Werken hören werdet. Un war ein großer Chossid un lernt Tag un Nacht. Un in der Stadt Paris war ein Galach (Geistlicher), ein Domprobst, der war ein großer Melamed (Gelehrter) un war gar stark in seiner Emune (Glauben). Un der Galach un der Rabbi Jechiel lehawdil (zu unterscheiden) waren gar eins miteinander. Einmal lernt der Rabbi in einem Sefer (Buch) in seinem Cheder (Zimmer) bei Nacht, wie nun sein Seder (Gewohnheit) war. Da hört er hinter seinem Haus ein groß jämmerlich Geschrei. Un er derschrak gar sehr, daß er nit wußt was es war, un hebt an Krias schma (Schema, Gebet) zu leienen (lesen) bis das Geschrei weg war. Un in großer Furcht, daß er leient, so schlief er über dem Sefer ein. Da kam das Geschrei wieder, aber er hört es nit, wo es war. Nun, das Geschrei will ich euch sagen, was es war. Es kamen zwei Schedim (Dämonen), Gott behüte uns, in seinen Garten. Da hat einer den andern gefragt, warum kommt er in den Hof zu dem Chossid mehr als zu einem andern in der Stadt. Da sprach der andere Sched, er hat gehört von den Engeln, daß kein köstlicherer Raw in der Welt mehr is, als der Rabbi Jechiel mit all seinen Werken. Un daß es wahr is, so sitzt er über dem Sefer un lernt. Um sein Verdienst wegen steht die ganze Welt. Da sagt der andere Sched wider: »Ich bin auch gekommen aus dem Gehinnem (Hölle) un hab gehört, wie der Galach so gar stark war auf seinem Glauben, daß ihm niemand konnt dervon bringen, viel minder als der Raw von seinem guten Glauben.« Das tät dem andern Sched gar weh, daß er den Chossid so gar sehr verachtet. Schließlich, die zwei Schedim wetten miteinander um das Leben. Der Raw hat einen Sched auf seiner Seiten, der wettet mit dem andern Sched, er wollt den Galach zu einem Juden machen. Un der Galach hat auch einen Sched auf seiner Seiten, der wettet er wollt den Juden von seinem Glauben bringen. Also wetteten sie miteinander. Un welcher nun gewinnen wird, der sollt den andern schächten. Also ging der Sched zum Raw: »Lieber Rabbi, so hat mich der Heilige, gelobt sei er, zu dir geschickt, du sollst kein Jud mehr sein.« Un gab ihm gar süße Worte, daß der Sched ja meint, er wollt den Chossid überreden. So derschrak der Chossid gar sehr un gedacht sich, von stundenan, als daß es mußt ein Sched sein, un er verachtete den Sched gar sehr, un er beschwor den Sched, daß er mußt von ihm hinweg gehn. Die andere Nacht kam er wieder un macht sich zu einem alten Mann gleich als wenn er Elijohu hanowi wär. Un gab dem Chossid wieder gute Worte, daß er meint, daß er wollt[266] eppes bei dem Chossid ausrichten. Aber es hulf als nix. Da nun der Sched sah, daß der Chossid nit wollt abkehren, da kam er die dritte Nacht wieder un macht sich zu einem Weibsbild un konnt aber nix ausrichten. Da nun der Chossid sah, daß der Sched nit wollt von ihm ablassen so fercht er sich gar sehr, daß er hätt sonst Aweres (Sünden) getan, derweil ihm solche Sachen zukommen. Un ging gleich hin un nahm einen Tanis (Fasttag) auf sich un gab viel Zdoke (Almosen) den Armen, daß es all der Welt Wunder nahm, daß er so fromm war. Un tät auch große Buße. Wie nun der Sched sah, wie er so fromm war, un tät große Buße un die Zeit war weg un hat nix können ausrichten, da ließ er von ihm ab. Un ging zu dem andern Sched un sagt ihm seine Handlung wie es ihm war gegangen mit dem Chossid. Da war der andere Sched gar froh, daß er sein Leben behalten sollt. Un sprach: »Nun will ich auch gehn un will auch versuchen, was ich kann mit dem Galach ausrichten.« Un ging zu dem Galach gar in köstlichen Kleidern. Un der Galach saß, un hat gar viel Licht bei sich brennen, un viel Knechte bei sich sitzen, gleich die Domherren gewohnt sind. Da sprach der Sched zu ihm: »Hör zu, du Domprobst, sei wissend, daß mich Gott zu dir geschickt hat, un läßt dir sagen, du bist nun lang genug ein Goj (Christ) gewesen, un von nun an weiters sollst du ein Jud sein, un sollst dich beschneiden lassen. Un wo nit, so wirst du immer un ewig verloren sein, un wirst ins Gehinnem kommen.« Un nahm den Galach un führt ihn in das Gehinnem. Un weist ihm wie andere Völker im Gehinnem sitzen. Un sein Vater un Mutter un Brüder un alle seine Freunde, die er all gekannt hat bei ihrem Leben. Un wie solches der Galach sah, so schrie er auf den Sched, er sollt ihm ihn doch wieder aus dem Gehinnem führen, er wollt also tun was er von ihm haben wollt. Also führt ihn der Sched wieder aus dem Gehinnem, un führt ihn auch in das Gan Eden (Paradies). Da sah er die Zaddikim (Frommen) sitzen, als einer köstlicher als der andere. Un er kennt auch viele von ihnen. Da sprach der Galach: »Wol euch, daß ihr solches würdig seid, un daß ihr sitzt in der Seligkeit un in der Würdigkeit.« Un dernach sah er etliche ledige Statt (Stellen, Plätze) stehn. Da frägt der Galach: »Wemen gehören die ledigen Stellen?« Da sagt der Sched: »Die werden noch bewahrt für etliche Zaddikim, die noch beim Leben sind. Darum, wenn du ein Jud wirst werden, un wirst dich lassen beschneiden, also wirst du auch in das Gan Eden kommen.« Da sprach der Galach wider den Sched: »Wenn ich das gewiß wüßt, als daß ich in das ewige Leben bei andern frommen Leut kommen möcht, so wollt ich mich ja lassen beschneiden.« Da sprach der Sched wieder: »Ich steh dir Orew (Bürge) dervor.« Da der Galach das hört, da sagt er dem Sched zu, daß er wollt ein Jud werden. Also führt ihn der Sched wieder heim. Nach der Zeit kamen[267] die zwei Schedim wieder zu einander, in dem Garten von Rabbi Jahiel Chossid un wollten hören, wie die Sach stund. Da sagt der eine Sched: »Ich hab den Galach so weit gebracht, daß er ein Jud wird werden.« Der andere Sched sagt: »Nein, du hast noch nit gewonnen, denn ich glaub noch nit, daß der Galach wird weg ziehn un wird ein Jud werden.« Nun, die andere Nacht, hebt sich der Galach auf, un macht zusammen, was er könnt mitnehmen an Kleinodien un Geld, un trug es als in dem Rabbi Jachiel sein Haus. Un klopft an seine Haustür an un bittet Rabbi Jachiel man sollt ihn einlassen. Aber der gute Rabbi fercht sich sehr vor einer falschen Verdächtigung derweil er bei Nacht kam, un sprach zu dem Galach, er wollt ihm bei Nacht nit auftan. Aber der Galach bat den Rabbi Jachiel also sehr, un sagt er da darf sich für nichts Böses besorgen. So tät ihm der Rabbi Jachiel die Tür offen un ließ ihn herein. Also verzählt der Galach den ganzen Handel an Rabbi Jachiel. Un bittet ihn, er sollt ihm helfen, daß er möcht können weg kommen un daß er möcht gejüdischt werden. Da ging Rabbi Jachiel hin un jüdischt ihn selbert. Un lernt mit ihm Thauroh. Un wie nun die zwei beieinander saßen, der Rabbi un der Ger (zum Judentum übergetretener Christ), die selbige Nacht, da hört Rabbi Jachiel eine Broche (Segensspruch) in seinem Haus machen über die Schechite (Schlachttier). Da ging Rabbi Jachiel un der fromme Ger heraus. Da stunden die zwei Schedim un wollten einer den andern schächten. Da fragt Rabbi Jachiel: »Was wollt ihr hier tan?« Also sagten sie, wie sie die zwei Schedim sind, un haben miteinander gewettet, welchen, den wir von euch überreden können um von seinem Glauben abzubringen, der soll einer den andern schächten. Also hab ich nun gewonnen, daß ich den Galach hab überredet. Aber er hat euch nit können überreden. Derhalben will ich ihn nun schächten. Wie solches der Chossid hört, da bat er den Heiligen, gelobt sei er, un lobt un dankt, daß er ihn hat beschirmt vor dem Satan. Un da der Ger das auch hört, da war er gar froh, daß er war ein Jud geworden, un lobt den Heiligen, gelobt sei er. So wollt Rabbi Jachiel den Sched nit schächten lassen in seinem Garten, neiert er mußt ihn auf das Feld führen un ihn dorten schächten. Un so bestellt der Rabbi Jachiel dem Ger zwei Jehudim, die mit ihm mit großen Frieden un mit viel Geld nach Erez Jisroel ziehn. Un der Ger ward ein frommer Jud. Un nahm ein Weib un gewann Kinder, die fromm waren, un gab sie aus in Kowed (Ehren) un sturbt mit gutem Namen, un der Rabbi war derdurch ein großer Chossid.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 265-268.
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