Zweihundertsechzehnte Geschichte

[268] geschah an dem Rabbi Jechiel, der war ein großer Chochom (Weiser) un ein Baalkabbala (Kabbalist). Un in seinem Lerncheder (Studierzimmer) da hat er ein Licht brennen, das macht er allemal an einem Erew Schabbes (Vorabend des Sabbath) an, un brennt die ganze Woch sonder Öl. Ein solches Chiddisch (Merkwürdigkeit) war nun jedermann gewahr. Da schickt der König nach dem Rabbi un frägt ihn solches, ob es wahr is, was er gehört hat von dem Licht brennen, denn er begehrt es zu wissen von ihm. Da sagt der Rabbi, nein, es wär nit wahr. Un leugnet es gar sehr. Denn er tät es darum, daß er sich nit wollt choschew (vornehm, groß) damit machen. Un macht sich selber schofel (gering, klein) un er fürchtet sich auch, man wird ihn für einen Mechaschef (Zauberer) halten. Nun, der König schwieg still derzu. Un gedacht sich, er wollt sich nix weiteres annehmen, doch wollt er selbert gehn un wollt es besehen ob es wahr is oder nit. Also hielt der König mit seinen Jauezim (Räten), Ezeh (Rat), daß er wollt einmal an einem Mittwoch zunacht gehn um zu sehen die Wahrheit. Nun war großes Rischess (Judenfeindlichkeit) in der Stadt Paris, denn es waren viel Perizim (vornehme Leute) in der Stadt, die waren dem Chossid sehr feind un klopften ihm allezeit an seine Tür von seinem Lerncheder. Also hat der Chossid etwas gemacht, derwartend, daß ihm die Perizim nit sollten abhalten von seinem Lernen: er nahm einen eisernen Nagel un steckt ihn in die Erd, un wenn die Perizim kamen un klopften an sein Lernzimmer, so hat der Nagel die Tewe (Eigenart) an sich, wie es nun gemacht war mit Chochme (Klugheit). Un nahm einen Hammer un schlug auf den Nagel einen Schlag. Da sinkt derselbige Mann, der da geklopft hat an seiner Tür in die Erde hinein. Nun, wie der König ankam, un klopft bei Nacht, da nahm der Rabbi einen Hammer un klopft auf den Nagel. Da sinkt der König ein, bis an seine Lenden. Da klopft der König noch einmal. Da schlug der Rabbi auch noch einmal auf den Nagel, denn er meint es wären Perizim, die so klopfen. Da sprang der Nagel hinter sich gar weit. Da das der Rabbi sah, da derschrak er gar sehr, un gedacht sich, das is für gewiß niemand anders als der König. So macht Rabbi Jechiel geschwind die Tür offen un buckt sich vor dem König un bittet ihn, er sollt es ihm verzeihn, denn er hätt solches nit gewußt, daß es seine königliche Majestät wär. Denn wie der Nagel aus der Erden sprang, also sprang der König auch wieder aus der Erden. Nun, seine Fürsten un seine Diener, die hatten nun gesehen, wie es dem König war gegangen un ferchten sich sehr, daß der König nit gar in die Erd versinkt. Un baten den Rabbi, er sollt dem König helfen. Da ging der Rabbi hin, un bracht den König zum Feuer, un bracht ihm viel köstliche Arzeneien un (v)erquickt ihn so lang bis[269] er wieder zu sich selbert kam. Da frägt der Rabbi den König: »Mein König, was is euer Begehr, daß ihr bei Nacht an mein Haus kommt? Fürwahr der König soll wissen, daß ein Wind geht vor meiner Tür vorbei. Un wer mir eppes Böses will tan, den verschlingt die Erde ein. Un wenn ich nit so geschwind wär zu dir heraus gekommen, so wärst du gar verschlungen in die Erde geworden.« Da sprach der König: »Ich bin schon halb in der Erden verschlungen gewesen, un wol dir, daß du mich dervon beschirmt hast. Un ich will dir auch sagen, warum ich bin zu dir gekommen. Denn ich hab viel hören sagen, wie du ein Chochom bist in Zaubersachen, un wie ein Licht bei dir sonder Öl soll brennen. Un dasselbige wollt ich gern sehen.« Da sprach der Rabbi wider: »Gott behüte, ich sollt ein Mechaschef sein. Aber ich bin sonst ein wenig verständig in weltlichem Handel un weiß auch sonst ein wenig Segulaus (Heilmittel). Un weist dem König das Licht, das da brennt ohne Öl. Aber es war ein Licht als wie Martel, das leuchtet wie Öl.« Wie nun der König das sah, da verwundert er sich gar sehr un nahm den Rabbi mit sich heim in seine Hofhaltung un macht ihn zu einem obersten Rat. Un der Rabbi war reich un selig un der König hielt ihn gar köstlich. Nun hat der König viel Fürsten un Prinzen in seiner Hofhaltung, die hatten Neid auf den Rabbi Jechiel un gingen hin zum König un sagten: »Mein Herr König, wie magst du den Jehude an deinem Hof leiden bei dir, der dich für unrein hält? Wenn du irgend ein Glas anrührst, da Wein drin is, trinkt er nit, um wie viel weniger mit dir aus einem Glas zu trinken.« Nun, der König schwieg still. Einmal gab der König dem Rabbi Wein zu trinken. Da sprach der Rabbi wieder: »Ich darf noch nit in dem Augenblick trinken, aber wenn ich heimgeh, da will ich vor deinen Augen trinken. Laß mir nur ein Weil Zeit.« Nun, wie es geschah, daß man dem König sollt die Hände über den Tisch waschen, wie nun der Seder (Sitte) ist, daß man nach dem Essen die Hände wäscht, da wäscht der König seine Hände aus einem goldenen Becken. Un alsobald daß der König seine Hände gewäschen, da nahm der Rabbi das goldene Becken und trank das Wasser aus, vor dem König und vor den Fürsten. Un der Rabbi Jechiel sagt vor all den Fürsten: »Das darf ich wol trinken, das is mir erlaubt, aber den Becher mit Wein darf ich nit trinken, denn die Thauroh hat mir's verboten.« Un da der König das sah, so hat er ihn viel lieberster als zuvor, derweil er sein Händwasser nit verschmäht hat.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 268-270.
Lizenz:
Kategorien: