Zweihundertsiebenundzwanzigste Geschichte

[285] geschah an einem reichen Mann, der hat all seine Tage keinen Schwur getan. Un wie er nun sterben sollt, da sagt er seinen Kindern seinen Zwoe (letzten Willen), daß sie doch nit sollten schwören, es sei ein Schwur was es auch is. »Denn all mein Reichtum kommt mir darum her, derweil ich mein Tag hab nit geschworen un der Heilige, gelobt sei er, hat mir in all meinem Tun großes Glück gegeben.« Nun, seine Kinder verheißten ihm, sie wollten es tun. Nun er sturb, da teilten die Kinder ihren Mammon gar redlich sonder geschworen.[285] Nach dem Teilen ging ein jeglicher wieder seinen Weg. Sonder allein ein Sohn blieb in des Vaters Haus sitzen. Nun, es hat viel böse Schälke in der Stadt, die waren es gewahr, wie ihm der Vater hat seinen Zwoe (Willen) gesagt, daß er keinen Schwue (Schwur) tun sollt. Da kam einer un sprach den Sohn um tausend Gulden an, die ihm der Vater schuldig wär. Der Sohn leugnet, es wär Scheker (Lüge). Da nahm er ihn vor. Nun schließlich kam es auf einen Schwur, daß er keine Wissenschaft davon hätt. Der Sohn gedacht: Schwör ich, so brech ich meines Vaters Zwoe, es is besser ich schwör nit, un geb ihm das Geld un will meines Vaters Zwoe nit brechen. Also bezahlt er den Bösewicht, wiewol daß er recht hat können schwören. Wie das die andern Bösewichter hörten, daß er nit schwören wollt, so kamen sie un sprachen den Sohn auch um viel Geld an. Schließlich brachten sie ihn um all das Seine, was er in sein Eigen hat. Nun kamen wieder Bösewichter un nahmen ihn vor das Bethdin (Gericht), er wär ihnen etliche Gulden schuldig von seines Vaters wegen. Das Bethdin gebot ihnen einen Schwur. Da schwörten sie, daß er ihnen schuldig wär. So ging der Spruch, daß er ihnen bezahlen mußt. Un er hat nebbich nix mehr zu bezahlen. Schließlich ließen sie ihn in's Gefängnis setzen. Nun, er hatt ein frommes Weib un war gar schön. Un sie nahm alles für gut, wie es ihr ging. Sie schämte sich Zdoke (Almosen) zu nehmen, derweil sie gar reich is gewesen. Da ging sie nebbich für die Leut wäschen um Lohn. Un was sie verdient da speist sie ihren Mann un Kinder dermit. Einmal stund sie am Wasser un wäscht Hemder. Da kam ein Schiff zu fahren. Da sagt der Schiffmann wider die Frau: »Willst du mir meine Hemder wäschen?« Da sprach die Frau: »Ja«. Un der Schiffmann sah sie immerdaren an, un hat Lust zu ihr. Da fragt der Schiffmann, wem sie zusteht. Da sagt sie ihm den Handel, wie sie mit Falschheit wär um ihr Geld gekommen, un wie sie die Nachbarn hätten verdorben. Da sagt der Schiffmann: »Da habt ihr einen Gulden, wäsch mir mein Hemd.« Da nahm sie den Gulden un was sie sonst verdient hat, un löst ihren Mann aus dem Gefängnis. Dernach ging die Frau un wollt dem Schiffmann sein Hemd bringen. Un wie sie in das Schiff kam, da fährt der Schiffmann mit Gewalt weg. Die Kinder sahen, wie die Mutter wegfährt. Da trieben die Kinder einen großen Jammer, wie nun wol zu glauben steht. Un lauften heim un sagten es ihrem Vater, wie ihre Mutter is mit Gewalt in das Schiff genommen un mit ihr weg gefahren. Da der Mann das hört, da hebt er seine Hände auf gegen den Himmel un lobt Gott un bittet Gott, daß er sich über ihn wollt derbarmen un über seine kleinen Kinder. Also nahm der arme Mann seine kleinen Kinder bei der Hand un zug mit ihnen weg. Un wie sie also gingen, so kamen sie an einen Bach nahe bei dem Meer. Un es war kein Schiffmann[286] da, der sie über könnt fahren. Da ging er hin un tät seine Kleider aus, un nahm seine Kinder un wollt über die Bach gehn. So war das Wasser so gar streng, daß er mit den Kindern weg floß. So fügt ihm der Heilige, gelobt sei er, ein klein Schifflein, da sie sich dran anhielten un stiegen ein un fahrten über, un kamen an einen Ort da viel Jehudim drin waren. Un sie nahmen ihn an, denn sie hatten Rachmones (Mitleid) über ihn un nahmen ihn für einen Schafhirt, denn sie hatten keinen Schafhirten. Einmal begab es sich, daß er seine Kinder die Schafe hüten ließ an Borten des Meeres. Da kam das Schiff, da die Frau innen war, un nahm die Kinder mit Gewalt un fahrt mit dem Schiff weg. Nun begab sich einmal, daß er bei den Schafen war, un hütet die Schafe. Da bedacht er sich, wie er so viel Geld hat gehabt un war sehr schändlich drum gekommen. Un die Schalke hätten ihn darum gebracht. Un war sehr schändlich um sein Weib un Kinder gekommen un jetzunder muß er ein Schafhirt sein. Un ging die Bach auf un ab. Indem sah er viel tote Menschen, die zutod sind gebissen worden von den Schlangen un Ottern. Da gedacht er wieder, es is doch besser mein Tod als mein Leben. Wollte Gott, ich wär von den Schlangen un Ottern tot gebissen worden. Da gedacht er wieder, er wollt sich selbert in das Wasser dertränken, so wär er das große Elend ab. Da hört er ein Stimme vom Himmel, das sagt: »Geh dorten hin un grab unter jenem Baum, so wirst du einen großen Schatz mit Geld finden, der is dir behalten worden, derweil du deines Vaters Zwoe hast gehalten, so gar stark.« Also ging er fort un grabt unter dem selbigen Baum. Da fand er einen großen Schatz, der nit zu schätzen war. So war er wieder derfreuet, un lobt den, dessen Namen gepriesen sei, daß er ihm in seiner Armut wieder geholfen hat. Un verhofft weiters, daß ihm der, dessen Name gepriesen sei, sein Weib un Kinder wieder bescheren wird, wenn sie noch in dem Leben sind. Also ging er zu dem König un ließ sich erlauben, daß er an dem Borten vom Meer mag sich ein neues Haus bauen, un daß jegliches Schiff, das da vorbei fährt, sollt müssen Meches (Zoll) geben in den Schatz von dem König. So mußten alle Schiffe vor seiner Tür anlegen. Un wenn dann ein Schiff kam un legten an sein Haus an, so ging er in jegliches Schiff un sucht ob sein Weib un Kinder nit drinnen waren. Nun, es begab sich nit lang dernach, da kam das Schiff zu fahren, da sein Weib un Kinder drinnen waren un wollt ihm Meches geben. Da ging der Mann in das Schiff hinein um zu besuchen, was für Ware in dem Schiff war. Da sah er sein Weib un Kinder drinnen sitzen. Da derkennt er sie, aber das Weib un Kinder kennten ihn nit. Da hebt er an zum Schiffmann: »Wo kommst du her mit der jungen Frau un den Kindern?« Da sprach der Schiffmann: »Mein Herr, ich hab sie von weiten Landen daher geführt.« Wie nun die Frau die Frage hört, da hebten sie an zu schreien,[287] denn sie gedachten an ihre Heimat. Da konnt sich der Mann auch nit aufhalten un fangt auch an zu schreien. Un sagt wider den Schiffmann: »Die dasige Frau gehört mir zu, du hast mir sie nit redlich abgeführt. Derhalben will ich dich zum König schicken un dein Schiff derweil hie fest anschließen. Un was der König mit dir machen will, bin ich wol zufrieden.« Also bat ihn der Schiffmann er sollt ihm sein Leben schenken, er wollt ihm all sein Gut schenken. Also ward der Mann gar reich. So ging er hin un nahm sein Weib un Kinder un all das Gut, das im Schiff war, un ließ ihn hinweg fahren. Das war darum, daß er seines Vaters Zwoe (Willen) hat gehalten.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 285-288.
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