Zweihundertzweiunddreißigste Geschichte

[300] geschah: Es war einmal ein gewaltiger König, der hat einen Jauez (Rat), der heißt Kunz. Un wenn der König wollte eine Ezeh (Rat) haben, von seinen Jauezim (Räten) un die Räte allemal beieinander waren un Rat hilten, un die Ezeh unter den Räten beschlossen war, dann ging allemal mein feiner Kunz zu dem König un sagt zu ihm, so is die Sach unter uns beschlossen worden. Un mein lieber Kunz hängt allemal die Gedule (die Größe) an sich, gleich als ob er allemal den rechten Rat hätt getroffen, un die andern Räte müßten ihm allemal folgen, denn sie haben den Verstand un Vernunft nit. Un mein guter König meint es war so, gleich wie der Kunz sagt. Derhalben hielt ihn der König für einen großen Chochom (Weisen) mehr als die andern Räte. Nun, die andern Räte merkten die Sach gar wol, daß der König den Kunz lieber hat, mehr als sie alle. Das verdrießt sie gar hart. Denn der Kunz war der Schlechteste unter ihnen allen. Einmal hielten die Räte Rat mit einander um zu sehen, wie sie dem Kunz könnten beikommen un schofel (gering) machen. So gingen sie zum König un sagten: »Herr König, wir haben eine Bitt an dich, du wolltest uns doch verzeihen, wir wollen dich eines fragen. Wie kommt es doch, daß du deinen Rat Kunz mehr ehrst un hältst ihn besser als uns alle? Un wir wissen gewiß, daß er der Schlechteste unter uns allen is.« Der König antwortete ihnen wider: »Ich will euch sagen, wie es kommt. Denn allemal wenn ihr einen Rat habt gehalten un eueren Rat habt dernach beschlossen is worden, so kommt er zu mir un bringt mir eueren Rat. Un sagt allemal derbei, daß er die Ezeh hat getroffen. Un ihr müßt ihm allemal bekennen, daß er klüger is als ihr seid. Un ihr wärt eitel Narren. Aber doch veracht ich euch nit, denn ihr seid mir alle gut«. Wie die Räte solches hörten, waren sie gar froh un gedachten, wir wollen ihn bald niedrig kriegen, un sagten: »Herr König sei wissend, alles was Kunz gesagt hat, das is eitel Lüge, denn er hat gar keinen Sechel (Verstand). Un probier einmal etliche von deinen Räten besonders mit einem Rat, so wirst du es spüren, daß er dir allein keinen Rat geben kann«. Nun, der König sagt, ich will das wol bald spüren. Un ging hin un schickt nach seinem lieben Rat Kunz un sagt: »Lieber Diener, ich halt dich für getreu un für den größten Chochom, den ich hab an meinem Hof. Ich hab eine Sache in meinen Sinn, die ich niemandem mag offenbaren. So will ich dich frägen, ob du mir den Grund von der Wahrheit bescheiden kannst. Un so du mir die rechte Wahrheit kannst raten, so will ich dich reich begaben.« Mein lieber Kunz sprach: »Mein lieber König, fragt mich, ich verhoff, ich will einen Rat derzu finden. Derhalben verzähl mir deine heimliche Sach.« Da sprach der König: »Mein lieber Kunz, da will ich dich dreierlei fragen. Das erste is, du sollst mir sagen, wo geht die Sonn auf? Das[301] andere is, wie weit is der Himmel von der Erde? Das dritte, mein lieber Kunz, sollst du mir sagen, was ich in meinem Sinn hab.« Da nun Kunz diese drei Sachen gehört hat, da sprach er: »Mein Herr König, das sind große, schwere Sachen. Man kann sie so bald nit sagen. Man muß Zeit derzu haben. Darum bitt ich dich, gib mir drei Tage Zeit, so verhoff ich, daß ich dir es sagen will.« Da sagt der König: »Mein lieber Kunz, das soll dir verheißen sein. Ich will dir drei Tage zu geben.« Also ging mein lieber Kunz von dem König weg. Mein lieber Kunz gedacht, ich kann mich in der Stadt nit viel besinnen. Ich will liebert heraus auf das Feld spazieren gehn, da bin ich allein. Un da kann ich mich besser besinnen als in der Stadt. So ging er heraus auf das Feld. Da kam er zu seinem Schäfer, der ihm seine Schafe hütet. Also redet der Kunz als mit sich selbert: »Wer will mir sagen, wie weit der Himmel von der Erde is? Oder wer will mir sagen, wo die Sonne aufgeht? Oder wer will mir sagen, was der König in seinem Sinn hat?« Der Schafhirt sah, wie sein Herr so in Gedachten ging. Da sprach er: »Mein lieber Herr, ihr sollt es mir verzeihn, denn ich seh wol, daß ihr ein großes Anliegen in euerem Herzen habt. Wenn es mir zu fragen steht, so wollt ich es wol wissen. Vielleicht könnt ich euch einen Rat geben. Denn das Sprichwort geht, es gibt oft einer einen Rat, der selbert keinen hat.« Da der Kunz das von seinem Schäfer hört, da gedacht er, ich will es ihm ja sagen, vielleicht weiß er mir Rat zu geben. Un hebt wider seinen Hirten an: »Ich will dir sagen, warum ich so betrübt bin. Der König hat mir drei Sachen aufgegeben, die soll ich ihm bescheiden. Un wenn ich es nit tu, so verlier ich meinen Hals. Un jetzunder tracht ich, un kann es nit dertrachten.« Da sprach der Schafhirt: »Mein Herr, sagt mir, was sind die drei Sachen? Vielleicht kann ich euch helfen, daß ihr aus euerer großen Not kommt.« Mein lieber Kunz gedacht, ich will es ihm sagen, vielleicht is er gestudiert. Un sprach: »Mein lieber Schäfer, das sind die drei Sachen, die der König mich gefragt hat: ich soll ihm sagen, wo die Sonn aufgeht, un wie weit der Himmel von der Erd is, un was der König in seinem Sinn hat.« Der Schäfer gedacht, die drei Sachen sind gut zu wissen. Un sagt wider den Kunz: »Mein lieber Herr, tut eines, un gebt mir euere guten Kleider, un ihr tut einweil an, meine bösen Kleider, un hütet mir meine Schaf. So will ich in die Stadt zu dem König gehn. So wird er meinen ihr wärt es. So wird er mich die drei Sachen fragen, alsdann will ich es ihm bescheiden. Damit kommt ihr dann aus euerer Not. Alsdann will ich wieder zu euch herkommen, damit ihr bei dem König nit in Ungnaden sollt kommen.« So ließ sich mein lieber Kunz überreden un gab dem Schäfer seine guten Kleider mit seiner köstlichen Schaub. Un er tät seine bösen Kleider an un setzt sich zu dem Viech, gleich als ob er all sein Leben lang mit dem Viech wär umgegangen. Wie nun die drei Tag vorbei[302] waren, da ging mein guter Hirt zum König un sagt: »Mein Herr König, ich hab mich besonnen auf die drei Sachen, die du gefrägt hast.« Da sagt der König: »So sag mir denn her, wo geht die Sonn auf?« Da sagt der Schäfer: »Zu Misrach (im Osten) geht sie auf un zu Maariw (am Abend, Westen) geht sie wieder unter.« »Wie weit is der Himmel von der Erd?« Da sprach der Schäfer; »So weit als die Erd vom Himmel is.« Da sprach der König: »Was hab ich denn in meinem Sinn?« Da sprach der Schäfer: »Mein Herr König, das will ich dir sagen. Du meinst in deinem Sinn, daß ich bin dein Rat Kunz. Aber ich bin es nit. Neiert ich bin ein Hirt un hüt seine Schafe. So is mein lieber Kunz draußen auf dem Feld spazieren gangen. Un hat als mit sich selbert geredet: Wer will mir sagen wo die Sonn aufgeht? Oder wer will mir sagen, wie weit der Himmel von der Erde is? Oder wer will mir sagen, was der König in seinem Sinn hat? Also ging er als alleinig studieren. So hab ich wider ihn gesagt, er soll mir seine guten Kleider geben so will ich ihm einweil meine bösen Kleider geben un er soll das Viech hüten, so will ich mit Gottes Hilf diese drei Sachen wol derraten un ihn beschirmen. So hat er sich überreden lassen un hat es getan. So sitzt er draußen auf dem Feld un hütet das Viech in meinen bösen Kleidern. Un ich geh in seiner schönen Schaub un in allen seinen besten Kleidern.« Da der König das hört, da sprach er wider den Schafhirten: »Dieweil, daß du Kunz überredet hast, so sei du mein Rat un er bleib draußen un hüt die Schafe.« So mußt Kunz die Schafe hüten. Da kommt das Sprichwort her: Du kommst derhinter, wie Kunz hinter das Viech. So ging es ihm, viel besser geh es uns.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 300-303.
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