Zweihundertachtundvierzigste Geschichte

[339] geschah an einem Zaddik, der war gewöhntlich (gewohnt), daß er pflegt zu oren (vorbeten) alle Roschhaschone (Neujahr) un alle Jomkipur (Versöhnungstag), denn das Kohel (Gemeinde) hat ihn ausderwählt, daß er oren sollt, denn er war gar ein großer Zaddik. Un wie es nun kam zum Ende seiner Tage, da wollt er nit mehr oren an Roschhaschone un Jomkipur. Da fragt ihn das Kohel: »Warum wollt ihr jetzunder nit oren? Ihr habt ja alle Jahr geort.« Da sagt der Zaddik: »Wenn ich jetzunder oren sollt un sollt das Jahr dernach sterben, so sollt mein Sohn sagen, er wollt oren nach mir. Un mein Sohn, der is noch nit würdig derzu an einem so heiligen Tag zu oren. Darum will ich einen andern stellen, der oren soll.« Un er stellt einen, der war ein Zaddik un ein Chochom (Weiser) un ein Baalthauroh (Schriftkundiger) un derselbige war würdig derzu, daß er oren sollt. Sogar fromm war der Zaddik, daß er seinen Sohn nit auf seine Stelle wollt lassen. Un von deswegen war Eli, der Priester, gestraft geworden, daß er seine Söhne nit gestraft hat, dieweil er wohl wußt, daß seine Kinder nit fromm waren, so sollt er sie haben abgestoßen von der Priesterschaft, un sollt andere Kohanim (Priester) an ihrer Statt gestellt haben. Aber er hat es nit getan. Darum geschah ihm, daß er von seinem Stuhl is herabgefallen un hat sein Genick zerbrochen. Darum soll man an Roschhaschone alte Leute stellen zu oren, die fromm sind, denn dieselbigen wissen, was man ort.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 339.
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