Zweihundertsiebenundvierzigste Geschichte

[337] geschah: In dieser Maasse (Geschichte) steht, daß ein Teil Leute sagen, es war zu Regensburg gesehen. Indes kann es nit sein, denn von Regensburg nach Mainz muß man ein Stück Weg über Land bis man an den Rheinstrom kommt, un das geht[337] stromab. Die Geschichte geschah an einem Chossid, der hat geheißen Rabbi Amrom, der hat gewohnt in Köln am Rhein. Un da hat er Jeschiwe (Lehrhaus) gehalten. Un er war in Mainz derheim. Da nun der Chossid alt war, so war er krank geworden. So schickt er nach seinen Talmidim (Schülern) un sagt zu ihnen: »Meine lieben Talmidim, da lieg ich un werd sterben. Also wär mein Begehr, daß ihr mich sollt zu Mainz bei meinen Eltern zu Kewure (Grabe) tun.« Da sprachen seine Talmidim wider: »Unser lieber Rabbi, das können wir nit tun, denn es is eine große Sakone (Gefahr) so weit zu führen.« Da sprach Rabbi Amrom wider: »Wenn ich gestorben bin, so seid mich metahar (haltet meine Totenwaschung) un legt mich in einem Oren (Sarg) un stellt dernach den Oren in ein klein Schifflein auf den Rhein. Un laßt das Schiff allein gehn wo es hin will.« Wie nun Rabbi Amrom gestorben war, da hielten ihm seine Talmidim die Tahare (Totenwaschung), un legten ihn in einen Oren un täten den Oren in ein klein Schifflein auf dem Rhein. Da hebt das Schifflein gegen den Strom an zu laufen, bis es nach Mainz kam. Wie nun die Leute das große Wunder sahen wie das Schiff gegen den Strom auf alleinig kommt, da lauften sie derzu un sahen, wie ein Meß (eine Leiche) in einem Oren liegt. Da sagten sie, das muß gewiß eppes heiliges sein, un begehrt, man soll ihn zu Grabe tun. Da gingen die Leute hin un griffen nach dem Schifflein. Da lauft das Schifflein hinter sich. Da gingen die Gojim (Christen) un sagten es dem Hegmon (Statthalter, Bischof) von Mainz. Da kam die ganze Stadt zu laufen an den Rhein, Jehudim un Gojim lehawdel (zum Unterschied) durcheinander. Un wie nun die Jehudim an den Borten von dem Rhein kamen, un wollten auch das große Wunder sehn, da ging das Schifflein zu den Jehudim zu. Da wollten die Christen wieder nach dem Schifflein greifen. Da konnten sie nit. Denn so oft als die Christen dernach griffen, da lauft das Schifflein hinter sich, bis daß man scheinbarlich sah, daß das Schifflein zu den Jehudim begehrt un nit zu den Christen. Da ruften die Christen den Jehudim zu: »Geht in das Schiff, un seht was in dem Schiff is.« Da ging das Schifflein wieder zu den Jehudim. Da gingen die Jehudim in das Schifflein un täten den Oren auf. Da war in dem Orem ein Meß, un ein Brief lag dabei. Da stund drinnen geschrieben: »Meine lieben Brüder un Freunde, ihr Juden von der heiligen Kehille (Gemeinde) Mainz, seid wissend, daß ich, Amrom, bin zu euch gekommen aus der Ursach, daß ich bin gestorben in der heiligen Kehille Köln, un ich begehr von euch, daß ihr mich sollt bei meinen Eltern zu Kewure tun, die auch in Mainz liegen. Un euch soll sein viel Scholem (Frieden) un langes Leben.« Un wie nun die Jehudim den Brief sahen, da hebten sie alle an zu trauern un täten den Oren heraus auf das Land. Da trieben die Christen viel Aseskeit (Frechheit) un stärkten sich über[338] die Jehudim un schlagten sie. Aber die Christen konnten den Oren nit von der Stelle bringen. Sobald gebot der Hegmon, man sollt den Oren dervor hüten, daß er nit von den Jehudim weg würde geführt. Also ließ der Hegmon eine Tifleh (Kirche) darüber bauen, die war gewaltig groß. Da trieben die Jehudim groß Stadlones (Fürsprache) mit Bitten, daß sie den Oren nehmen dürften. Aber es helft alles nix. Un auf den heutigen Tag heißt noch die Kirche mit Namen Amrom. Un alle Nacht kam Rabbi Amrom im Traum zu seinen Talmidim un sagt wider sie: »Begrabt mich bei meinen Eltern.« Da das die Talmidim zu Köln hörten, da waren sie gar traurig un ziehten nach Mainz. Wie sie nun zu Mainz waren, so gingen sie bei Nacht aus der Stadt un nahmen den Ganew (Dieb) von dem Tlija (Galgen) un täten ihm weiße Kleider an un gingen hin un nahmen Rabbi Amrom aus dem Oren un legten den Dieb an die Stelle in weißen Kleidern. Un taten Rabbi Amrom zu Kewure bei seinen Eltern un der Heilige, gelobt sei er, war den Jehudim gnädig un blieb im Sod (Geheimnis).

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 337-339.
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