Vierundfünfzigste Geschichte

[49] geschah: Rabbi Pinches ben Joir, der ging un wollt gefangene Leut auslösen. Da kam er an ein groß Wasser, das hieß Genai. Da sprach Rabbi Pinches: »Genai, teil dein Wasser von einander un laß mich durchgehn.« Da sprach das Wasser wider den Rabbi Pinches: »Du gehst un willst tun den Willen von Gott, sein Name sei gelobt, un ich geh auch un tu Gott, sein Name sei gelobt, sein Gebot. Bei dir is nit gewiß, daß man dir die gefangenen Leut auszulösen geben wird, aber bei mir is gewiß, daß ich mein Gebot so richte, un is gewiß, daß ich in das Jam (Meer) geh. Drum will ich mich nit spalten.« Da sprach Rabbi Pinches wieder: »Willst du dich nit spalten so will ich verhängen über dich, daß nimmermehr kein Wasser soll in dir laufen.« Da das Wasser das hört, da spaltet es sich von einander, daß Rabbi Pinches trocken dardurch ging. Wie er nun durch war, da kam auch einer, der trug Weiz auf Pessach (Ostern) den wollt er mahlen. Da sprach Rabbi Pinches wieder zum Wasser: »Spalt dich auch von dem Juden wegen, denn er geht auch von einer Mizwe wegen (um ein Gebot) von Pessach.« Da spaltet es sich wieder, daß der Mann könnt auch dardurch gehn. Da ging mit ihm ein Saucher (Handelsmann) der war ein Arabi, der war zu Rabbi Pinches auf den Weg gekommen, un waren zwei Chawerim (Gesellen) mit einander. Da sprach Rabbi Pinches: »Spalt dich auch von dem Arabi wegen, derwartend, daß man nit soll sagen ein Chawer (Geselle) is mit dem andern gegangen un hat ihn hinten gelassen.« Da spaltet es sich wieder einmal. Drauf sprach Rabbi Jojsse: »Wie köstlich is der Rabbi Pinches ben Joir mehr als Mojsche Rabbenu. Warum? Bei Mojsche Rabbenu da unser Herr Gott hat das Jam gespalten, da hat er es gespalten von ganz Jisroel wegen, un hat es niks mehr als einmal gespalten.[49] Un da bei Pinches ben Joir da sind niks mehr als drei Leut gewesen un hat sich dreimal gespalten.« Wie er nun weiter ging, da kam er in ein Herberg. Da gab der Wirt dem Esel Gersten in die Krippe zu essen. Da wollt der Esel die Gersten nit essen. Da schwang der Wirt die Gersten wieder durcheinander. Er meint der Esel wollt drum nit essen, weil noch viel Spreuer drinnen war. Un schütt es dem Esel wieder vor. So wollt der Esel noch nit essen. Da der Wirt das sah, da sagt er wider Rabbi Pinches, wie der Esel nit wollt essen, un die Gersten war gar rein gewesen. Da sprach Rabbi Pinches wider den Wirt: »Vielleicht is noch kein Maasser (Zehent) von der Gersten gegeben worden.« Da gab der Wirt Maasser von der Gersten, darnach eßt der Esel die Gersten. Da sprach der Rabbi Pinches gegen den Wirt: »Sieh, die arme Beheme (Tier) eßt nit sonder Maasser un hütet ihres Beschöpfers Gebot un ihr wollt ihr Gersten zu essen geben, die nit vermaassert is.« Da war Rebbe gewahr wie Rabbi Pinches kam. Da ging ihm Rebbe entgegen un sprach: »Is es dein Willen so sollt ihr mit mir essen?« Da sprach Rabbi Pinches wider Rebbe: »Ja, ich will mit dir essen.« Da ward dem Rebbe sein Ponim (Gesicht) rot vor großer Simche (Freude), weil er mit ihm essen wollt. Da sagt Rabbi Pinches wider Rebbe. »Rabbi, ich halt (dafür) du meinst ich hab ein Neder (Schwur) getan, daß ich will kein Hanoe (Freude, Vorteil) haben Von ein Sohn Jisroels. Ich will dir sagen warum ich nit gern mit einem Juden eß: Jisroel is ein heilig Volk un etliche, die haben es gar gern, daß man mit ihnen eßt un sie haben es nit zu geben. Un etliche haben es gar wol zu geben un sie haben es nit gern, daß man mit ihnen eßt. Denn es steht geschrieben: Du sollst nit Brot essen mit einem, der nit gern sieht das Brot essen. Denn mancher heißt einem mitessen un das Herz is nit derbei. Wiewol ich weiß, daß du es gern gibst un hast auch wol derzu. Aber gleichwol kann ich mit dir jetzunder nit essen, denn ich muß eilendig mein Weg reiten von einer Mizwe (Guttat) wegen. Ich mag mich nit säumen. Aber wenn ich wieder komm, so will ich mit dir essen.« Da er nun wieder kam, da kam er ins Haus von Rebbe. Da wollt er seinen Esel in Rebbe seinen Stall stellen. Da sah er wie Rebbe weiße Mauleseln in seinem Stall stehen hatt. Un die sind gar besakone (gefährlich) in einem Haus. Un dacht: »Soll ich mit Rebbe essen, un er hat den Malach hamowes (Engel des Todes) im Stall stehn?« Da hört Rebbe wie Rabbi Pinches gekommen war. So ging er ihm entgegen in das Haus un sprach zu ihm: »Ich hab dein Reden gar wol gehört, aber laß dich das niks hindern, denn ich will die Mauleseln verkaufen.« Da sprach Rabbi Pinches: »Der Posuk (die Schrift) sagt, man soll für keinen Menschen keine Strauchelung geben.« Da sprach Rebbe: »Ich will sie wieder in Wald lassen laufen.« Da sagt Rabbi Pinches wieder: »So werden die Esel mehr Schaden tun als fürweil sie nit gehütet werden.« Da sagt Rebbe: »Ich will sie lähmen,[50] daß sie nit werden können schlagen.« Da sprach Rabbi Pinches: »Das wär eine Lebensgefahr un dasselbige is auch eine Awere (Sünde).« Da sprach Rebbe wieder: »Ich will ihnen die Klauen abschneiden, das tut ihnen nit weh.« Da sprach Rabbi Pinches wieder: »Es steht auch geschrieben: du sollst niks verderben, du tust auch eine Awere darmit.« Da bat Rebbe den Rabbi Pinches, daß er doch sollt mit ihm zu Mittag essen, wie er ihm verheißen hat, da er war vor bei ihm gegangen. Da geschah ein Neß (Wunder), daß der Heilige, gelobt sei er, ließ einen Berg wachsen zwischen dem Rebbe un zwischen Rabbi Pinches, daß keiner von ihnen beiden mehr zu einander kamen. Rabbi Chanine sagt, es is keine Refue (Heilmittel) derzu, wenn ein Maulesel beißt, der da weiß ist. Man hat gesagt auf den Rabbi Pinches: von dem Tag an, da er hat sein Sechel (Verstand) bekommen hat, da hat er nit Broche gemacht (Segenspruch gesagt) über Brot, das nit sein is gewesen. Denn er wollt nit Hanoe (Vorteil) haben von anderer Leuten Gut, selbst von seines eigenen Vaters Speis.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 49-51.
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