Fünfundfünfzigste Geschichte

[51] geschah: Der Esel von Rabbi Pinches ben Joir, der war einmal genommen von Gaslonim (Räubern). Un sie nahmen den Esel un führten ihn mit in eine Höhle. Un sie hatten den Esel drei Tage bei ihnen. Un der Esel wollt niks essen, denn er wußt wol, daß man hat kein Maasser (Zehent) von der Tewue (Korn) gegeben. Da sagten die Räuber zu einander: »Was sollen wir mit dem Esel machen? Denn er wird doch Hunger sterben, derweil er nit essen will. Denn müssen wir den Esel auf das Feld werfen, so werden es die Leut gewahr, wo wir sind, un werden uns suchen, un (wir) werden um das Leben kommen. Sollen wir das Aas in der Höhle behalten, so wird das Aas stinken werden in der Höhl un der Gestank is gar ungesund.« Da hielten sie Rat un ließen den Esel laufen. Un lauft der Esel wieder heim zu seinem Herren Rabbi Pinches. Un der Esel kam wieder vor die Tür un schrie laut, gleich die Eseln (p)flegen zu schreien. Da hört es Rabbi Pinches, daß der Esel schrie, da sprach er: »Tut dem Esel auf un gebt ihm zu essen, denn er hat in drei Tagen niks gegessen.« Rabbi Schalme sagt: Rabbi Pinches wüßt wol, daß der Esel an keinem fremden Ort nit eßt, mikolscheken (um wie viel mehr), daß er nit hat wollen bei den Räubern essen. So schutten sie ihm Gersten vor, so wollt er auch niks essen. Da sprach RabbiPinches: »Hät (habt) ihr Maasser dervon gegeben?« So sagten sie, nein. So gab man Maasser dervon, dernach eßt er den Gersten ganz auf un eßt sich wol satt.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 51.
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