Einundsiebzigste Geschichte

[63] geschah: Da nun Rabbi Akiwe hat genommen Kalbe Sewue seine Tochter, un er hat es gehört, da tät er ein Neder (Schwur), daß sie sollt keine Hanoe (Vorteil) haben von seinem Gut. Da litten sie groß Armut, daß sie den ganzen langen Winter mußten auf dem Stroh liegen, denn sie hätten kein Kissen noch Pfühlben. Un alle Morgen klaubt sie das Stroh von ihrem Mann aus dem Haar. Da sprach er zu ihr: »Wenn ich einmal werd reich werden, so will ich dir ein gülden Leiblein machen, das soll bestickt sein mit eitel Perlen, wie sie vor Zeiten haben getragen die köstlichen Kleider zu Jeruscholajim.« – Da begab es sich, daß Elijohu hanowi (Prophet Elias) zu ihr kam, un sie meint er war sonst ein schlechter Mann, un ruft auf die Tür: »Ihr lieben Leut, gebt mir durch Gottes Willen ein wenig Stroh, denn mein Weib is mir gelegen un hat mir ein Kind gewonnen un ich bin so arm, daß ich afilu (sogar) das Stroh nit hab, daß ich sie nit zu legen hab darauf. Ich will verschweigen (geschweige), daß ich Kissen oder Pfühlben hab.« Da tät Elijohu hanowi drum, daß sie sollten gedenken sich, es sein noch andere Leut in der Welt wie wir sind, un sollten es gütiglich aufnehmen. Da sprach sie wider ihm: »Geh hin, un zieh noch zwölf Jahr aus lernen«, wie ihr von der Maasse (Geschichte) geleint (gelesen) habt. Un da er nun wieder kam, da bracht er noch zwölf tausend Talmidim (Schüler) mit. Da hört sie einen Rosche (Bösewicht) hinter ihrem Haus sagen: »Ihr Vater hat ihr recht getan daß sie keine Hanoe (Genuß) soll haben von seinem Gut. Warum? Er is nit von einer solchen guten Mischpoche (Familie) wie Kalbe Sewue is. Das andere, er laßt sie (als) eine Almone (Witwe) bei seinem Leben sitzen.« Da sagt sie: »Wenn er mir folgen sollt, so sollt er noch zwölf Jahr ausziehn.« So zug er wieder lernen, wie oben steht.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 63-64.
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