Achtundachtzigste Geschichte

[76] geschah: Es ist einmal geschehen, daß ein Jud is gewesen ein Wirt. Wenn er nun fremde Juden zu Gast hat, so gab er ihnen koscher Fleisch zu essen un wenn er Gojim (Christen) hat an seinem Tisch sitzen, so gab er ihnen Chaser (Schweinefleisch) zu essen. Einmal da kam ein Jud zu ihm, un er kennet ihn nit für einen Juden un setzt sich hinter den Tisch, un hat sich sein Händ nit gewaschen. Un sprach zum Wirt: »Herr Wirt gibt mir ein gut Stück Fleisch.« Der Wirt hat gemeint er wär ein Goj (Christ) weil er sich nit gewaschen hat, un bracht ihm ein Stück Chaser (Schweinefleisch). Un der Jud hat sich nit dran gestußen un hat gemeint es wär ein[76] gut Stück Rindern Fleisch un hat es gegessen. Da er nun gessen hat, da sprach er zum Wirt: »Lieber Wirt, was hab ich bei euch verzehrt?« Da rechnet ihm der Wirt un sagt: »Ihr habt so viel verzehrt.« Da gedacht er, es wär ihm viel zu teuer un sprach wider den Wirt: »Soll denn ein Stück Fleisch so teuer sein?« Da sprach der Wirt: »Mein lieber Mann, das Fleisch von einem Chaser is gar teuer.« Da sprach der Gast: »Ei, ei, ich bin doch ein Jud, warum hast du mir denn Chaser zu essen geben?« Da sprach der Wirt: »Warum hast denn dich nit gewaschen deine Händ vor dem Essen. Un die Gojim pflegen sich nit zu waschen, drum hab ich dich auch für einen Goj angesehen.« Drum is gekommen, daß man ihm hat Chaser zu essen geben. Derhalben soll man allemal die Händ waschen, wenn man will essen un wenn man gegessen hat.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 76-77.
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