Einundneunzigste Geschichte

[80] geschah: Von einem, der hat geheißen Issocher isch Barkoi ein Mann von Barkoi, der war gewesen ein Kohen godel (Hoherpriester), un hält sich gar sehr bekowed (in Ehren), aber die Korbones (Opfer) hielt er gar nit in Ehren. Denn wenn er die Korbones Opfer auf den Misbeach (Altar) zu Opfer bracht, da nahm er allemal ein seiden Tuch vor die Hand, daß er sich nit beschmiert von dem Dam (Blut) un daß er sich nit besilpert von dem Fleisch. Wie ging es ihm aber aus? Das will ich euch da schreiben. Es war einmal auf eine Zeit, da saß der König Janne un die Königin bei einander. Da sprach der König: »Ein jung Zickel, das is besser zu essen weder ein jung Lämmel.« Da sprach die Königin: »Nein, ich sag, ein jung Lämmel is besser zu essen weder ein jung Zickel.« Da sprachen sie: »Zu wem wollen wir nun kommen, der uns wird können sagen?« Da sagten sie: »Wir wollen den Issocher den Kohen godel frägen, denn er weiß es gewiß, weil er mit Opfern umgeht.« Da schickten sie nach ihm. Da kam er zu gehn. Da fragten sie ihn, welches besser is. Da sprach er zu ihnen: »Wenn ein Zickel sollt besser sein als ein Lämmel, da sollt man bringen ein jung Zickel zu Korben tomid (ständigen Opfer).« Un wie er nun ihnen so sagt, da fechtet er mit seinen Händen als wenn er aus den König spottet un niks achtet. Da sagt der König: »Dieweil er so meiner spottet un fuchtelt mit seinen Händen so soll man ihm seine rechte Hand abschneiden.« Da gab er gar großen Schauched (Bestechung) aus, daß man ihm seine linke Hand abschnitt. Da war es der König gewahr, daß man ihm die linke Hand hat abgeschnitten. Da gebot der König, daß man ihm sollt die rechte Hand auch abhacken. Das geschah auch gleich. Damit kam er um zwei Händen. Da sprach Rabbi Jauhef: »Gelobt sei Gott, daß er hat genommen Issocher, ein Mann von Barkoi, seine Vergeltung auf dieser Welt.« Da sagt die Gemore, es war nit so wie der Issocher gesagt hat, daß ein jung Lämmel sollt besser sein als ein jung Zickel, neiert es sein alle beide gleich gewesen. Derhalben soll kein Mensch hoffärtig sein, wenn schon er eine Gedule (Größe) hat, denn der[80] Heilige, gelobt sei er, hat in seiner Hand, er kann einem geben un er kann ihm wieder nehmen. Derhalben soll man demütig derbei sein un nit hoffärtig wie der Issocher von Barkoi is gewesen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 80-81.
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