Zweiundneunzigste Geschichte

[81] geschah: Von Abe Chilkije, der war das Enekel von Choni hamagel. Denn es war einmal auf eine Zeit, da hatten Jisroel gern gehabt, daß es geregnet hätt. So schickten die Rabbonim zu dem Abe Chilkije, daß er doch sollt Tefille tun (beten), daß es möcht regnen. Da nun die zwei Rabbonim zu ihm kamen, in sein Haus, da war er nit derheim. Da gingen sie auf das Feld un suchten ihn. Da fanden sie ihn dorten in einem Weingarten, daß er das Unkraut heraus riß, daß es nimmer wachsen sollt. Da sprachen sie zu ihm: »Der Heilige, gelobt sei er, soll sein mit euch.« Da kehrt er sein Ponim (Angesicht) nit zu ihnen. Da es nun Abend war, da ging er wieder heim. Un die zwei Rabbonim gingen auch mit ihm heim. Da trug er das Holz un die Schaufel, da er mit gearbeitet hat, auf einer Achsel un seinen Mantel auf der anderen Achsel un den ganzen Weg tät er seine Schuch nit an. Un wie er an ein Wasser kam, so tät er die Schuch an. Un wenn er an einen Weg kam, da viel Dörner stunden, da hub er seine Kleider auf. Un wenn er auf den weiten Weg kam, so hub er seine Kleider nit auf. Un wie er nun in sein Haus kam, so ging ihm sein Weib gar hübsch geziert mit Kleidern entgegen. Un da er nun wollt gehn in sein Haus, so ließ er sein Weib vor gehn, darnach ging er un darnach gingen die zwei Rabbonim. Un wie er sich nun zum Tisch wollt setzen essen, da hieß er die zwei Rabbonim nit mit essen. Un schnitt den Kindern Brot un gab dem Ältesten ein Stück Brot un dem Jüngsten Sohn zwei Stück Brot. Un dernach sprach er zu seinem Weib heimlich: »Ich weiß wol was die zwei Rabbonim wollen haben, daß ich den Heiligen, gelobt sei er, soll bitten um Regen. Komm her, wir wollen gehn auf den Boden un wollen Gott, den gelobten, bitten um Regen, vielleicht wird er unsere Bitt gewähren un wird lassen regnen un wir werden darnach sagen, der Regen, der kommt nit unserthalben.« Also gingen sie beide miteinander hinauf auf den Boden, un Abe Chilkije, der stellt sich auf ein Eck un das Weib in die andere Eck, un hebten an un täten Tefille (beteten). Un da sie nun Tefille täten, da kam ein Regenwolken von ihrer Seit her un regnet. Dernach gingen sie alle Beide wieder herab un nahmen sich nix an, daß sie hätten Tefille getan, von dem Regen wegen. Da sprach der Abe Chilkije wieder die zwei Rabbonim: »Was is euer Begehr, daß ihr seid hierher gekommen?« Da sprachen die zwei Rabbonim wider: »Unsere Chachonim (Weisen), die haben uns her zu euch geschickt,[81] ihr sollt den Heiligen, gelobt sei er, bitten, daß er doch sollt lassen regnen, denn es is sehr von nöten.« Da sprach Abe Chilkije wider: »Gelobt sei Gott, daß ihr meiner Tefille (Gebet) nit bedarft, denn es regnet schon so.« Sprachen sie wider: »Wir können wol gedenken, daß der Regen euerthalben kommen is. Neiert wir bitten dich, du sollst uns doch sagen, weshalben du so sonderbares Tun an dir hast, das du getan hast auf dem Weg, daß wir uns gar sehr verwundert haben.« Da sprach er: »Ich will euch sagen.« Da sagten sie zu ihm: »Da wir dir das erstemal haben zugeredet, warum hast du uns dein Ponim nit zugekehrt?« Da sprach er wider: »Ich bin den selbigen Tag ein Taglöhner gewesen, un ich hab mich nit so viel säumen mögen, daß ich mit euch sollt geredet haben.« Da sagten sie wieder zu ihm: »Warum hast du Holz un Schaufel auf einer Achsel getragen un den Mantel auf der andern Achsel? Du hast es doch können alles auf einer Achsel tragen.« Da sprach er wider: »Den Mantel hab' ich entlehnt gehabt un er is mir geliehen worden anzutun, aber nit ich soll eppes (etwas) auf dem Mantel tragen.« Da sprachen sie wieder zu ihm: »Warum hast du den ganzen Weg deine Schuch in der Hand getragen, un da du bist gekommen an Wasser so hast du die Schuch angetan?« Da sagt er wider: »Den ganzen Weg hab ich können sehen, daß ich in nix tret, aber im Wasser kann ich nit sehen, ob ich in etwas treten möcht. Darum hab ich mein Schuch im Wasser angetan.« Da sagten sie wieder: »Warum hast du den ganzen Weg deine Kleider hängen lassen, un wenn du kommen bist an Dörner so hast du sie aufgehoben. Du solltest sie billig an Dörner hängen lassen, daß dich die Dörner nit stechen sollten.« Da sagt er: »Der Leib kann wol wieder geheilt werden, aber die Kleider, die können nit wieder geheilt werden.« Da fragten sie ihn wieder: »Warum is dir dein Weib so hübsch geziert entgegen gangen?« Da sprach er wider: »Halben, daß ich nit sollt Lust haben zu andern Weibern.« Da sagten sie wieder: »Warum hast du sie vor lassen in dein Haus hinein gehn un dernach du un dernach wir?« Da sagt er wider: »Derhalben, daß ich nit gewußt hab, ob ich euch so ein Sach zu vertrauen soll, denn man soll keinen für fromm halten, den er nit kennt gar wol, daß er fromm is.« Da sprachen sie wieder: »Warum hast du uns nit heißen mit essen, da du gegessen hast?« Da sprach er wider: »Ich will euch sagen, ich hab gesehen, daß nit viel Brot da is gewesen, un wir haben nit genug allemiteinander gehabt. Also hab ich nit gewollt mit meinem Mund reden un mein Herz sollt nit derbei sein. Denn dasselbig is eine große Awere (Sünde), wenn einer was redet un das Herz is nit derbei.« Da sagten sie wieder: »Lieber, sag uns doch, warum hast du deinem großen Sohn ein Stück Brot gegeben un deinem kleinen Sohn zwei Stück Brot?« Da sagt er: »Ich will euch sagen, der kleine Sohn, der is einen ganzen Tag im Cheder (Schule)[82] bei seinem Rabbi un kommt einen ganzen Tag nit heim. Derhalben hab ich ihm zwei Stücker Brot gegeben. Aber mein ältester Sohn, der is einen ganzen Tag derheim, un ißt wenn er will. Derhalben hab ich ihm ein Stück Brot gegeben.« Da fragten sie wieder: »Lieber, sag du uns, warum is der Wolken auf deines Weibs Seiten vorauf gegangen?« Da sprach er wider: »Drum, daß mein Weib einen ganzen Tag derheim is, un gibt den armen Leut zu essen das Brot, un das is den armen Leuten besser als Geld. Wenn ich ihnen schon Geld gib, so müssen sie erst Brot kaufen. Noch, ich will euch einen andern Taam (Grund) sagen, denn wir haben böse Schechenim (Nachbarn), die große Schalk sind. Un ich tu Tefille (beten) auf sie, daß sie der Heilige, gelobt sei er, soll sterben lassen. Aber mein Weib tut Tefille, daß sie Tschuwe (Buße) sollen tun, un von ihren bösen Werken abkehren.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 81-83.
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