|
[201] Einst herrschte ein Kaiser, Namens Trajanus, in dessen Reiche ein Ritter lebe, der Placidus hieß, und von Seiten des Kaisers zum Kriegsobersten bestellt war.[201] Der ließ sich nun die Werke der Barmherzigkeit sehr angelegen seyn, war aber dem Götzendienst ergeben. Er hatte aber eine Frau, welche demselben Cultus zugethan aber auch eben so barmherzig war, als er selbst: mit dieser zeugte er zwei Söhne, welche er, zufolge ihrer edlen Geburt, köstlich erziehen ließ, und weil er nun eifrig die Werke der Mildthätigkeit betrieb, so verdiente er auf den Weg der Wahrheit und des Lichts geführt zu werden. Wie er nun eines Tages das Waidwerk übte, traf er auf ein Rudel Hirsche, unter denen er einen erblickte, der schöner und größer war als die übrigen, sich von der Gesellschaft der andern absonderte, und in einen weit ausgedehnten Wald entsprang. Während nun die übrigen Ritter sich mit den andern Hirschen beschäftigten, verfolgte Placidus mit aller Anstrengung jenen, und bemühte sich ihn zu fangen. Wie er nun aus allen Kräften nacheilte, lief endlich der Hirsch eine hohe Bergspitze hinan, und als Placidus näher kam, dachte er bei sich in seiner Seele darüber nach, wie er ihn nun auf eine andere Weise nicht fangen könne. Als er jedoch den Hirsch genau ansah, bemerkte er zwischen seinen Geweihen die Form des heiligen Kreuzes, das mehr als das Sonnenlicht selbst leuchtete, und das Bild Jesu Christi, welches durch den Mund des Hirsches gerade wie einst durch die Eselin Bileams mit folgenden Worten zu ihm sprach: o Placide, was verfolgst Du mich: ich bin Deiner wegen Dir hier in der Gestalt eines Hirsches erschienen: ich bin Christus, den Du, ohne es selbst zu wissen, verehrst: Dein Almosen ist bis zu mir heraufgestiegen, und deshalb bin ich gekommen, daß ich durch den Hirsch, welchen Du jagtest, Dich selbst erjagen möge. Andere sagen jedoch, daß das Bild, welches zwischen den[202] Geweihen dieses Hirsches erschien, selbst diese Worte vorbrachte. Als das Placidus hörte, wurde er von großer Furcht ergriffen, stürzte vom Roß auf die Erde herab, und erst nach einer Stunde wieder zu sich gekommen, stand er von der Erde auf und sprach: entdecke mir, was Du sagen willst, so will ich an Dich glauben. Und Christus sprach: ich bin Christus, Placide, der den Himmel und die Erde erschaffen hat: der ich das Licht entstehen ließ und es von der Finsterniß schied: der ich die Tages- und Jahreszeiten und Jahre bestimmte, den Menschen aus einem Erdenkloß bildete, der ich zum Heil des Menschengeschlechts auf Erden in Fleischesgestalt erschien, der ich gekreuzigt und begraben wurde und am dritten Tage wieder auferstand. Wie das Placidus hörte, fiel er zum andern Male zur Erde nieder und sprach: Herr, ich glaube, daß Du das Alles gemacht hast und die Irrenden bekehrst. Und der Herr sprach zu ihm: wenn Du an mich glaubst, so gehe zum Bischoff dieser Stadt und laß Dich taufen. Ihm aber antwortete Placidus: willst Du Herr, daß ich dieses eben so auch meiner Frau und meinen Kindern kund thue, auf daß auch diese an Dich glauben. Der Herr aber sprach: verkündige es ihnen, damit auch sie, gleich wie Du, gereinigt werden mögen: Du aber komm am morgenden Tage wieder hierher, damit ich Dir zum zweiten Male erscheine und Dir was da kommen soll, vollständiger eröffnen kann. Wie also Placidus nach Hause zurückgekehrt war und seiner Frau im Bette diese Sache verkündigte, da rief seine Frau aus: mein Herr, auch ich habe ihn in der vergangenen Nacht erblickt, wie er also zu mir sprach: morgen wirst Du und Dein Mann und Deine Söhne zu mir kommen, und jetzt habe ich ihn[203] wieder erkannt, weil Du es selbst auch erfahren hast. Sie machten sich also noch um Mitternacht zu dem Bischoff der Stadt Rom auf den Weg, der sie mit großer Freude taufte und den Placidus Eustachius nannte, seine Frau aber Theosbyta und seine Söhne Theosbytus und Agapitus. In der Frühe des andern Morgens aber begab sich Eustachius nach seiner Gewohnheit auf die Jagd, und als er an jene Stelle gekommen war, ließ er seine Begleiter unter dem Vorwande Wild aufzuspüren aus einander gehen, und erblickte alsbald an demselben Orte wiederum die Gestalt seines ersten Gesichts, er fiel zur Erde nieder und sprach: Herr, ich bitte Dich demüthiglich, daß Du mir offenbaren mögest, was Du Deinem Knechte versprochen hattest. Darauf sprach der Herr zu ihm: Heil Dir Eustachi, daß Du das Bad meiner Gnade empfangen, und also den Teufel überwunden hast, und so den, der Dich betrogen hatte, nieder in den Staub tratest. Bald aber wird Dein Glaube an den Tag kommen, denn der Teufel, den Du verlassen hast, wird gegen Dich wüthen, und waffnet sich gegen Dich auf allerlei Weise. Du mußt also viel leiden, auf daß Du die Krone des Sieges erringest, Du mußt Vieles erdulden, auf daß Du von der hohen Eitelkeit der Welt erniedrigt und wiederum mit geistigen Schätzen erhöht werdest. Falle also nicht wieder von mir ab und blicke nicht auf Deine vorige Herrlichkeit, denn in Versuchungen mußt Du Dich als einen zweiten Hiob erweisen. Sage mir also, ob Du die Versuchungen gleich jetzt bestehen willst, oder erst am Ende Deines Lebens. Eustachius aber sprach zu ihm: Herr, wenn es so seyn muß, so befiehl, daß der Versucher jetzt zu mir trete: verleihe mir aber die Tugend der Geduld. Der Herr aber sprach: seyd immerhin[204] tapfer, weil meine Gnade Eure Seelen behüten wird. Und also stieg der Herr gen Himmel auf und Eustachius kehrte nach Hause zurück und meldete Alles seiner Frau wieder. Wenige Tage nachher aber ergriff eine todbringende Pest alle seine Knechte und Mägde und tödtete Alle: kurz darauf fielen alle seine Pferde und all sein Vieh auf einmal, einige Bösewichte aber, welche sich jetzt die Gelegenheit zum Rauben abpaßten, drangen zur Nachtzeit in sein Haus ein, trugen Alles, was sie fanden, hinweg und plünderten alles Silber und Gold und andere Dinge im ganzen Hause: und er selbst mit seiner Frau und Kindern dankte Gott dafür, daß er nackt entfliehen konnte. Da sie nun aber fürchteten, von den Leuten verspottet zu werden, so zogen sie nach Aegypten, und ihr ganzes Besitzthum ward durch diese Räuberei jener Bösewichter auf nichts herabgebracht, der König aber und der ganze Senat kümmerte sich sehr wegen des so wackern Kriegsobersten, weil sie gar keine Zeichen von ihm entdecken konnten. Wie aber jene unterwegs waren, kamen sie an's Meer, und als sie daselbst ein Schiff antrafen, fingen sie an dasselbe zu besteigen. Allein der Besitzer desselben, als er bemerkte, daß die Frau des Eustachius sehr schön war, wünschte sie zu besitzen, und da sie übergesetzt waren, verlangte er von ihnen sein Fährgeld, und weil sie nichts zum Bezahlen hatten, gebot er die Frau, welche er bei sich zu haben wünschte, nicht ziehen zu lassen. Wie das Eustachius hörte, wollte er sich dieses durchaus nicht gefallen lassen, allein wie er noch so widersprach, da winkte der Schiffsherr seinen Leuten, sie sollten ihn in's Meer stürzen, auf daß er so zu dieser Frau kommen könnte. Als das Eustachius gewahr wurde, verließ er traurig seine Frau, nahm seine[205] beiden Kinder und ging seufzend hinweg, indem er also sprach: wehe mir und Euch, denn Eure Mutter hat sich einem fremden Manne überliefert. Er gelangte aber an einen Strom, über welchen er wegen der großen Menge Wassers, die ei enthielt, nicht mit beiden Knaben zugleich zu setzen wagte, sondern ließ einen am Ufer zurück und trug den andern hinüber: wie er aber über den Strom gesetzt hatte, legte er das Kind, welches er auf seinem Rücken hinüber getragen hatte, auf die Erde, und eilte das andere zu holen. Wie er aber bis in die Mitte des Stromes gekommen war, siehe da lief ein reißender Wolf vorbei, raubte den Knaben, welchen er dort abgesetzt hatte, und entfloh mit ihm in den Wald. Während der aber noch weglief, kam ein Löwe und raubte auch den andern Knaben und lief mit ihm weg, so daß er, weil er nicht im Stande war ihn zu verfolgen, mitten im Flusse anhob seine Brust zu zerschlagen und sein Haar auszuraufen, sich auch in das Wasser stürzen wollte, wenn ihn nicht die göttliche Fürsehung daran gehindert hätte. Einige Hirten aber, welche gesehen hatten, wie jener Löwe den Knaben forttrug, verfolgten ihn mit ihren Hunden, und der Löwe warf durch Fügung Gottes den Knaben unverletzt von sich und entlief. Indessen hatten auch Ackerleute, welche hinter dem Wolfe herschrien, den andern Knaben unbeschädigt aus dem Rachen desselben befreit, und da beide Theile, die Hirten und die Ackerleute, aus einem Dorfe waren, so erzogen sie die beiden Knaben bei sich. Davon wußte aber Eustachius nichts, sondern ging weinend und klagend weiter, also sprechend: wehe mir, der ich vorher so kräftig wie ein Baum war, jetzt bin ich gänzlich von Allem entblößt. Weh mir, ich, der ich gewohnt war von einer Menge Krieger umgeben zu[206] seyn, bin jetzt ganz allein und darf nicht einmal meine Knaben bei mir behalten. Ich besinne mich Herr, daß Du zu mir sagtest, ich müsse wie Hiob versucht werden, siehe aber, mir geht es viel schlimmer wie dem Hiob: denn wiewohl jener von Allem, was sein war, entblößt war, hatte er doch noch Mist, auf welchem er sitzen konnte. Mir dagegen ist von allem Diesen gar nichts geblieben. Er besaß Freunde, welche Mitleid mit ihm hegten, ich aber hatte nur Feinde, wilde Thiere, welche meine Söhne raubten. Ihm wurde seine Frau gelassen, mir aber ist sie genommen worden. Verleihe mir Herr jetzt Ruhe in meinem Trübsal und bewache meinen Mund, auf daß sich nicht mein Herz zu böslichen Worten verleiten lasse und ich von Deinem Anblick verstoßen werde. Als er also gesprochen hatte, ging er mit Thränen zu einem Dorfe und hütete daselbst um Lohn fünfzehn Jahre lang die Schaafe der dasigen Einwohner. Seine Söhne aber wurden mittlerweile in einem andern Dorfe erzogen und wußten nicht, daß sie Brüder waren. Jener Schiffer aber behielt zwar die Frau des Eustachius bei sich, erkannte sie aber nicht, sondern hinterließ sie sogar unberührt, als er sein Leben beschloß. Der Kaiser aber und das römische Volk wurden unterdessen von ihren Feinden gar sehr belästigt, und indem sie des Eustachius gedachten, wie wacker der gegen sie gefochten hatte, wurden sie immer trauriger wegen seines plötzlichen Verschwindens. Der Kaiser schickte nun viele Ritter nach allen Weltgegenden aus und verhieß Allen, die ihn finden würden, Reichthümer und Ehrenstellen. Einige aber von den Soldaten, welche einst unter Placidus gedient hatten, kamen gerade zu dem Dorfe, in welchem er sich aufhielt, und wie Placidus vom Felde kam und sie gewahr wurde,[207] erkannte er sie sogleich an ihrem Gange und fing an zu seufzen und bestürzt zu werden, indem er der Würde gedachte, die er einst besessen hatte, und sprach in seinem Hetzen: Herr, so wie ich diejenigen, welche einst mit mir gewesen sind, gegen meine Erwartung jetzt erblickt habe, ebenso verleihe mir meine Gattin wieder zu sehen, denn von meinen Söhnen weiß ich, daß sie von wilden Thieren gefressen worden sind. Da drang eine Stimme zu ihm, welche also sprach: habe Vertrauen, Eustachi, denn Du wirst bald Deine Würde wieder besitzen und Deine Frau und Söhne wieder bekommen. Wie er aber den Soldaten in den Weg kam, erkannten sie ihn nicht, grüßten ihn aber und fragten, ob er nicht einen Fremden Namens Placidus, der eine Frau und zwei Söhne habe, kenne. Der aber sagte, er wisse nichts von ihnen, aber auf seine Bitten nahmen sie ihre Herberge bei ihm, und Placidus wartete ihnen auf; weil er aber seiner früheren Stellung gedachte, konnte er sich der Thränen nicht enthalten, ging aber hinaus und wusch sein Gesicht, und wartete ihnen zurückgekehrt wieder auf. Jene aber betrachteten ihn und sprachen zu einander: wie ähnlich ist doch dieser Mensch dem, welchen wir suchen; ein Anderer aber antwortete und sprach: er ist ihm sehr ähnlich, laßt uns ihn also beobachten, ob er das Zeichen einer Narbe am Kopfe hat, welche von einer Wunde herrührt, die er einst in der Schlacht erhielt: wahrhaftig, et ist es selbst. Und da sie ihn ansahen und an dem Zeichen sahen, daß er es selbst sey, welchen sie suchten, so erkannten sie ihn auf der Stelle, sprangen auf ihn zu, küßten ihn und fragten ihn nach seiner Frau und Kindern. Er aber sagte ihnen, es seyen seine Söhne todt und seine Frau werde ihm vorenthalten. Es eilten nun aber alle Nachbarn zu diesem[208] Schauspiele herbei, indem jene Krieger von seiner Tapferkeit und früherem Ruhme erzählten: nachher aber eröffneten sie ihm des Kaisers Gebot und bekleideten ihn mit kostbaren Gewändern. Sie gelangten aber nach einer Reise von funfzehn Tagen Zum Kaiser, der, wie er von seiner Ankunft hörte, ihm alsbald entgegen eilte und ihm den Friedenskuß gab. Hierauf erzählte er Allen nach der Reihe Alles, was ihm begegnet war, ward hierauf sogleich zu der Wohnung des Kriegsobersten geführt und wurde aufgefordert dieselbe Stelle, welche er früher besessen hatte, wiederum zu bekleiden, und nachdem er die Soldaten gezählt und gefunden hatte, daß ihrer nur wenige gegen so viele Feinde seyen, befahl er Rekruten in allen Städten und Dörfern zusammen zu bringen. Nun begab es sich aber, daß auch für jenes Dorf, in welchem seine Söhne erzogen wurden, ausgeschrieben wurde, man solle zwei junge Leute zu Soldaten stellen; alle Bewohner jenes Ortes aber bezeichneten dem Kriegsobersten jene beiden Jünglinge als passender, denn alle Andere für den Krieg. Er sah sich also jene zwei jungen Leute an, und da er sie feingebildet und von guten Sitten fand, sie ihm also gar sehr wohl gefielen, so stellte er sie mit unter die Ersten in die Schlachtlinie, und zog also in die Schlacht. Nachdem also die Feinde geschlagen worden waren, ließ er seine Soldaten drei Tage an demselben Orte, wo seine Frau ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte, ausruhen, wo denn seine Söhne zu ihr in's Quartier kamen, ob sie gleich natürlicher Weise nicht wußten, daß es ihre Mutter war. Wie sie nun um Mittag bei einander saßen und sich unterhielten, erzählten sie sich gegenseitig von ihren Kinderjahren, die Mutter jener[209] Jünglinge aber, welche ihnen gegenüber saß, hörte aufmerksam mit an, was sie einander erzählten. Es sprach aber der Aeltere zum Jüngeren: ich kann mich aus meiner Kindheit auf weiter nichts besinnen, als daß mein lieber Vater ein Kriegsoberster und meine Mutter eine sehr schöne Frau war und zwei Söhne hatte, mich und einen kleinen Bruder, der aber ebenfalls sehr schön aussah: einst nahmen uns unsere Eltern, mich und meinen Bruder, und gingen bei Nacht aus meinem väterlichen Hause heraus und bestiegen beide mit einander ein Schiff, nahmen uns aber beide mit, ich weiß jedoch nicht, wohin sie gehen wollten; wie wir aber das Schiff verließen, blieb meine Mutter, ich weiß nicht warum, auf der See zurück, unser Vater aber trug uns beide fort, weinte aber beständig, wie er aber an einen gewissen Strom kam, da setzte er mit meinem jüngern Bruder über und ließ mich am Ufer des Flusses zurück. Wie er aber zurückkehrte, um mich abzuholen, kam ein Wolf und raubte jenen Knaben, und noch ehe er sich mir nähern konnte, kam auch hier ein Löwe aus dem Walde, schleppte mich fort und entführte mich mit sich in seinen Wald. Einige Hirten entrissen mich aber dem Rachen des Löwen und zogen mich auf ihrem Gute auf, wie Du selbst weißt, so daß ich nicht wissen kann, was aus meinem Vater und Bruder geworden ist. Wie das der jüngere Bruder hörte, fing er an zu weinen und zu sagen: so wahr Gott lebt, wie ich höre, bin ich Dein Bruder, weil die, welche mich erzogen haben, mir sagten, wie sie mich aus dem Rachen eines Wolfes befreit hätten. Also fielen Beide einander in die Arme, küßten sich und fingen an zu weinen, ihre Mutter aber, welche das mit anhörte und bedachte, wie sie so richtig ihr Schicksal erzählt hatten, dachte lange bei sich[210] nach, ob das ihre Söhne seyn könnten. Am andern Tage aber ging sie zu dem Kriegsobersten, bat um Gehör und sprach zu ihm: Herr, ich flehe Dich an, daß Du mich zu meiner Vaterstadt zurückbringen lässest: denn ich bin aus dem Römerlande und hier fremd. Wie sie das sagte, ward sie an ihm Merkmale ihres Gatten gewahr, und da sie ihn erkannte und nicht mehr an sich halten konnte, fiel sie ihm zu Füßen und sprach: Herr, ich bitte Dich, mir Dein früheres Leben zu erzählen, denn ich glaube, Du bist Placidus, der Kriegsoberste, der mit seinem andern Namen Eustachius heißt, den der Heiland bekehrt hat, und der nun die Versuchung bestanden hat, dem ich als seine Frau auf dem Meere entführt worden bin, und der zwei Söhne Agapitus und Theosbytus hatte. Wie das Eustachius hörte, und als er sie genauer betrachtet hatte, erkannte, daß sie seine Gattin sey, vergoß er Freudenthränen, küßte sie und preisete Gott, der die Niedergeschlagenen also zu trösten wisse. Darnach sprach aber seine Frau zu ihm: Herr, wo sind unsere Söhne? Er aber antwortete: sie sind von wilden Thieren geraubt worden, und erzählte ihr, wie er sie verloren hatte. Sie aber sprach: ich danke dem Herrn, denn ich meine, daß wie Gott es uns verliehen hat uns einander wieder zu finden, er uns auch das Glück gewähren wird, unsere Söhne wieder zu erkennen. Jener aber sprach: ich habe Dir ja gesagt, daß sie von wilden Thieren gefressen worden sind. Sie aber entgegnete: als ich am gestrigen Tage in meinem Garten saß, habe ich zwei Jünglinge auf eine solche Weise von ihren Kinderjahren erzählen hören, daß ich glaube, es müssen unsere Söhne seyn: frage sie selbst, damit sie es Dir sagen. Eustachius[211] aber rief sie zu sich, und als er von ihnen die Geschichte ihrer Kindheit vernommen hatte, da erkannte er, daß sie seine Söhne waren, er und ihre Mutter fielen ihnen um den Hals, weinten gar sehr und küßten sie wiederholt, und das ganze Heer freute sich über ihr Wiederfinden und über die Besiegung der Feinde. Wie sie aber zurückkehrten, da hatte es sich zugetragen, daß Trajanus gestorben war und ihm Hadrianus, der weit schlechtere Thaten verübte, auf dem Throne folgte, und sie für den gewonnenen Sieg und die Wiederfindung der Frau und Kinder köstlich aufnahm und ein großes Gastmahl zurichten ließ. Am andern Tage aber zog er nach dem heidnischen Götzentempel, um daselbst wegen des Sieges über die Barbaren ein Opfer zu bringen. Wie aber der Kaiser sah, daß Eustachius weder wegen des Sieges noch wegen der Wiederfindung der Seinigen opfern wollte, ermahnte er ihn, er solle doch auch ein Opfer bringen. Der aber antwortete: ich verehre als meinen Gott Jesus Christus, und ihm allein diene und opfere ich. Darüber aber entbrannte der Zorn des Kaisers und er ließ ihn sammt seiner Frau und Kindern in die Rennbahn bringen und einen grimmigen Löwen auf ihn loslassen. Allein der Löwe lief zwar auf sie zu, aber als bete er sie an, wich er wieder mit demüthig gesenktem Haupte von ihnen zurück. Darauf ließ der Kaiser einen ehernen Ochsen erhitzen und befahl sie lebendig hineinzustecken, diese Heiligen aber verrichteten ihr Gebet und befahlen sich Gott, worauf sie in den Ochsen hineingingen und daselbst ihre Seelen dem Herrn zurückgaben. Drei Tage nachher wurden sie aber in Gegenwart des Kaisers wieder aus dem Ochsen herausgenommen und so durchaus[212] unbeschädigt befunden, daß der Dampf des Feuers weder ihre Haare noch sonst irgend etwas an ihnen berührt hatte. Die Christen aber trugen ihre Körper hinweg und bargen sie an einem sehr bekannten Orte, wo sie eine Kapelle erbauten. Jene starben aber den Märtyrertod unter Hadrianus, der den Thron bestieg um das Jahr des Herrn 120 den ersten November, oder wie Andere sagen, den zwanzigsten September.
Buchempfehlung
Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.
110 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro