Hundertundsiebzehntes Capitel.
Von den verstockten Sündern und denen, so sich nicht bekehren mögen und ihrer Bestrafung nach dem bestimmten Gerichte.

[222] Einst lebte ein Kaiser Friedericus, der ein Gesetz gab, daß so Jemand eine Jungfrau entführe und sie ein Anderer aus den Händen ihres Räubers befreien könne, der solle sie, so es anders der Jungfrau recht sey, zur Frau bekommen. Nun begab sich der Fall, daß ein gewisser gottloser Raubritter eine Jungfrau entführte, sie zu einem Walde schleppte und daselbst ihre Unschuld raubte. Sie aber erhob ein lautes Geschrei, und ein Ritter, edel von Geschlecht und That, ritt zufällig durch denselben Wald, vernahm die Stimme der Jungfrau, spornte sein Roß und gelangte bis zu ihr. Er befragte sie[222] also um den Grund ihres Geschreis, und sie antwortete ihm: o mein Herr, helfet mir um Gottes Willen: jener Raubritter hat mich mit Gewalt entführt, meine Unschuld geraubt und sich auch vorgenommen mich nach allen Diesem noch umzubringen. Der Räuber aber sprach: Herr, das ist meine Frau, ich habe sie bei'm Ehebruch getroffen, und darum bin ich gesonnen sie zu tödten. Jene aber entgegnete: Herr, dem ist nicht so: niemals war ich die Gemahlin irgend Jemandes, und niemals bin ich verunreinigt worden, außer daß mir heute durch diesen da meine Unschuld geraubt worden ist. Darum kommt mir zu Hülfe, denn die Zeichen, meiner Jungfräulichkeit sind noch in diesem Augenblicke an mir. Der Ritter aber sprach zu dem Raubritter: ich sehe deutlich an diesem Frauenzimmer die Zeichen, daß sie eine Jungfrau war: Du aber hast sie mit Gewalt entführt und entehrt, ich will sie also aus Deinen Händen befreien. Darauf antwortete ihm der Tyrann: so Du sie frei machen willst, will ich um sie gegen Dich kämpfen. Alsbald stritten sie Beide gegen einander und gaben sich harte Hiebe, allein der Ritter behielt den Sieg, ob er wohl schwer verwundet wurde. Als der Ritter aber den Sieg gewonnen hatte, sprach er zu dem Mädchen: ist es Dir recht, daß ich Dich zur Frau nehme? Sie aber erwiderte: dieß wünsche ich von ganzem Herzen, und ich gebe Dir darauf mein Wort. Wie sie sich aber mit einander versprochen hatten, sprach der Ritter zu dem Mägdlein: Du wirst jetzt einige Tage auf meinem Schlosse bleiben; mittlerweile will ich zu meinen Eltern ziehen und das Nöthige zu unserer Vermählung besorgen, dann aber werde ich zu Dir zurückkehren und Dich mit großer Feierlichkeit mir antrauen lassen. Sie[223] aber erwiderte: Herr ich bin bereit Deinem Willen in Allem Gehorsam zu leisten. Also nahm der Ritter Abschied von ihr und sie machte sich nach dem Schlosse auf den Weg. Während aber der Ritter sich außerhalb seines Vaterlandes befand, um das Nöthige zu seiner Vermählung anzuordnen, kam der Raubritter an das Schloß dieses Ritters, worin sich das Mägdlein befand, und klopfte an die Pforte desselben. Sie aber schlug ihm den Eintritt ab, der Raubritter aber begann ihr viele Versprechungen zu machen, als wolle er sie auf ehrenvolle Weise zur Frau nehmen, und sie, welche seinen Worten Glauben schenkte, ließ ihn ein, und Beide schliefen die Nacht über bei einander. Nach einem Monate kehrte indessen der Ritter zurück und klopfte an das Thor seiner Burg, aber das Mägdlein gab keine Antwort. Wie er aber dieses gewahr wurde und vernahm, ward ihm seine Seele verbittert und er sprach also zu ihr: o gutes Mägdlein, erinnere Dich, wie ich Dich vom Tode gerettet habe und Du mir deshalb Dein Wort gegeben hast; rede gutes Mädchen und zeige mir Dein Antlitz. Als jene aber das hörte, öffnete sie das Fenster und sprach: siehe, hier bin ich, sage mir jetzt, was Du willst. Er aber erwiderte: ich wundere mich über Dich, daß Du nicht weißt, was und wie viel ich für Dich gethan habe: ich habe aus Liebe zu Dir viele Wunden bekommen, und wenn Du mir nicht glauben willst, will ich Dir meinen Leib zeigen. Mit diesen Worten legte er seine Kleider ab und sprach: hierher siehe, meine Theuerste, die mancherlei Wunden, die ich für die Erhaltung Deines Lebens davongetragen habe, wolle also darum nicht undankbar gegen mich seyn, sondern öffne mir das Thor, auf daß ich Dich zu meinem lieben ehelichen Gemahl[224] annehmen kann. Sie aber wendete ihr Gesicht vom Thore weg und wollte ihm dieses nicht aufthun, der Ritter aber verklagte sie bei dem Richter und führte zu seinen Gunsten jenes Gesetz an, indem er hinzusetzte, wie er sie befreit hätte und was für Wunden er aus Liebe zu ihr ausgehalten habe und wie er sie also zur Frau verlange. Wie das der Richter hörte, schickte er nach ihrem Entführer, und als derselbe gekommen war, sprach er zu ihm: hast Du dieses Frauenzimmer geraubt und hat sie dieser Ritter durch seine Tapferkeit Deinen Händen entrissen? Jener aber antwortete: allerdings, mein Herr. Ihm entgegnete der Richter: also ist sie dem Gesetze zufolge nach ihrem eigenen Willen die Frau desjenigen, der sie aus Deiner Gewalt befreit hat. Weswegen hast Du Dich also mit der Frau eines Andern eingelassen? Erstlich indem Du sein Schloß ohne Vorwissen betreten hast, zweitens hast Du das Bett eines Andern geschändet und drittens hast Du auch die Frau desselben einen so großen Zeitraum hindurch in Beschlag genommen; was hast Du hierauf zu antworten? Jener aber verstummte. Der Richter wendete sich aber nunmehr zu dem Weibe und sprach: o Mägdlein, Du bist durch zweifaches Recht die Frau dieses Ritters: erstlich weil er Dich aus den Klauen Deines Entführers gerissen hat, zweitens aber, weil Du ihm Dein Wort verpfändet hast. Warum hast Du also nach diesen Allem das Thor seiner Burg einem Andern als Deinem eigenen Manne geöffnet und ihn eingelassen? Sie aber konnte hierauf nichts antworten. Alsbald fällte der Richter das Urtheil, daß Beide an den Galgen gehenkt werden sollten, und also geschah es; Alle aber priesen den Richter, daß er einen solchen Spruch gethan hatte.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 222-225.
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