Hundertundneunzehntes Capitel.
Von Allem, was da lebet auf Erden, ist der Mensch am undankbarsten gegen empfangene Wohlthaten.

[228] Es hatte einst ein König einen Seneschall über sein Reich gesetzt, dessen Herz so von Hochmuth geschwollen und aufgeblasen war, daß er Alle drückte und auf seinen Wink Alles geschehen mußte. Nun war nahe bei dem kaiserlichen Palaste ein Wald mit wilden Thieren ganz angefüllt und er befahl, daß in demselben verschiedene Gruben gemacht und mit Blättern zugedeckt würden, auf daß die wilden Thiere unversehens in dieselben fallen[228] möchten und also gefangen würden. Nun begab es sich aber, daß der Seneschall einst durch diesen selbigen Wald ritt und er in seines Herzens Tiefen hochfahrend war und dachte, daß Niemand im ganzen Reiche größer sey denn er. Als er aber immer weiter fort ritt, da fiel er in so eine Grube und konnte nicht wieder heraus kommen. An demselben Tage fiel aber nachher noch ein Löwe, ein Affe und drittens eine Schlange in dieselbe Grube. Wie aber der Seneschall sich von diesen Bestien umgeben sah, fürchtete er sich und schrie laut. Es hörte aber sein Geschrei ein armer Mann Namens Guido, der mit seinem Esel Holz aus dem Walde führte, womit er sich seinen Unterhalt verdiente, und kam an die Grube. Diesem versprach er viele Schätze, wenn er ihm heraushelfen würde. Guido aber sprach: mein Bester, ich habe nichts zu leben, darum lese ich Holz, und wenn ich dieses mein Tagewerk liegen lassen wollte, würde ich zu Schaden kommen. Darauf verhieß ihm der auf sein Wort, er wolle ihn von seinem Reichthum versorgen, wenn er ihm heraushelfen würde. Als nun Guido dieses vernommen hatte, ging er zur Stadt und brachte von da ein langes Seil mit, welches er in die Grube hinab ließ, auf daß sich der Seneschall dasselbe umgürtete und er ihn so herausziehen könnte. Kaum war dasselbe aber hinabgelassen, so sprang der Löwe nach dem Seile und wurde herausgezogen, worauf er ihm seine Dankbarkeit bezeigte und in den Wald lief. Alsdann ließ er das Seil zum andern Male in die Grube hinab und siehe der Affe ritt auf ihm herauf, worauf ihn Guido hinaufzog und derselbe in den Wald lief. Nachdem ließ er das Seil wiederum hinab und die Schlange schlang sich um dasselbe, jener aber zog sie heraus und diese nickte[229] ihm freundlich zu und ging in den Wald. Nun rief der Ritter: o mein Lieber, gesegnet sey der Höchste, nunmehr bin ich von den Bestien befreit, laß jetzt das Seil herab; was auch geschah. Der Ritter gürtete sich dasselbe um und Guido zog ihn heraus, worauf sie auch noch das Pferd herauszogen, der Seneschall dasselbe bestieg und nach dem kaiserlichen Palaste ritt, Guido sich aber nach Hause begab. Wie ihn aber seine Frau so leer kommen sah, ward sie sehr traurig: er aber erzählte ihr den Hergang der Sache und daß er seinen verdienten Lohn erhalten werde, worüber sich seine Frau höchlich freute. Früh aber ging Guido nach dem Schlosse und schickte den Thorwärter zum Seneschall er und ließ ihm sagen, er sey da: der aber leugnete bei dem ersten und zweiten Male, daß er ihn jemals gesehen habe, ja befahl noch, daß dieser ihn, wenn er sich nicht fortpacken würde, grausam durchprügeln solle: was er auch that, denn als er zum dritten Male wiedergekommen war, da hieb ihn der Pförtner so grausam durch, daß er ihn halb todt auf dem Platze liegen ließ. Wie das Guido's Frau vernahm, kam sie und brachte ihn auf ihrem Esel nach Hause, er aber lag lange krank und zehrte während seines Krankenlagers all sein Gut auf, was er besessen hatte. Wie er aber wieder gesund geworden war und eines Tages Holz zusammen las, da sahe er von Weitem zehn Esel mit Gepäck beladen kommen und den Löwen sie von hinter her verfolgen, der sie geraden Wegs auf Guido zu trieb. Guido aber sah sich den Löwen genau an und besann sich alsbald, wie das der Löwe sein müsse, den er aus der Grube gezogen hatte. Als aber der Löwe zu ihm herangekommen war, machte er ihm mit seiner Tatze ein Zeichen, er solle mit den beladenen Eseln[230] nach Hause gehen, was er auch that. Guido aber trieb die Esel mit sich in sein Haus, und der Löwe folgte ihm, bis Guido bei seinem Hause angelangt war: als aber die Esel in das Haus hineingeschritten waren, da wedelte der Löwe mit seinem Schwanze Guido einen Gruß zu und eilte in den Wald. Nun ließ Guido in mehreren Kirchen ausrufen, ob Jemand Esel verloren hätte, aber es fand sich auch nicht einer, der gesagt hätte, er habe einen eingebüßt. Er selbst aber öffnete die Bündel, welche die Esel getragen hatten, und fand darin viele Schätze, worüber er sich nicht wenig freuete und reich wurde. Wie aber Guido am zweiten Tage zum Walde kam und kein eisernes Werkzeug hatte um Holz zu spalten, blickte er über sich und sah den Affen, welchen er aus der Grube gezogen hatte, der mit seinen Zähnen und Nägeln so viel Holz abbrach, daß Guido ohne Mühe seinen Esel belud und nach Hause zurückkehrte. Als Guido aber am dritten Tage zum Walde zurückkehrte, da sah er, wie die Schlange, welche er aus der Grube gezogen hatte, in ihrem Maule einen dreifarbigen Stein getragen brachte: auf einer Seite war er weiß, auf der andern schwarz, auf der dritten roth: sie öffnete aber ihren Rachen, ließ ihn in seinen Schooß fallen und entwich. Guido begab sich nun mit dem Steine zu einem erfahrenen Manne, der wie er den Stein betrachtete und seine Kräfte erkannt hatte, gern hundert Gulden für denselben gegeben hätte. Guido aber gewann durch die Kraft dieses Steines viel Güter und brachte es sogar zu einer Kriegsoberstenstelle. Als das der Kaiser erfuhr, ließ er ihn zu sich kommen und begehrte den Stein für Geld zu besitzen, oder er wolle ihn aus seinem Lande weisen. Guido aber sprach: Herr, ich will den[231] Stein für Geld verkaufen, aber Eins sage ich Euch gleich, wenn Ihr mir nicht seinen Werth bezahlen werdet, wird er wieder zu mir zurückkehren. Hierauf gab ihm der Kaiser dreihundert Gulden, und doch fand ihn Guido bald wieder in seiner Truhe, und händigte ihn dem Kaiser wieder ein. Der aber wunderte sich und sprach: sage mir, wo Du den Stein her hast. Nun erzählte ihm jener Alles vom Anfang bis an's Ende, wie der Seneschall mit dem Löwen, Affen und der Schlange in die Grube fiel, und er statt seines Lohnes von dem Seneschall verwundet wurde, und was er dagegen von dem Löwen, Affen und der Schlange bekam. Wie das der Kaiser hörte, da bewegten sich alle seine Eingeweide wider den Seneschall, und er sprach zu ihm: was ist das, was ich von Dir höre? Jener aber konnte es nicht leugnen. Hierauf sprach der Kaiser zu ihm: Du schlechter Mensch, Du hast Dich undankbar gegen den Guido bewiesen, daß er Dich aus Todesgefahr rettete, und hast ihn hier halb todt liegen lassen. O Du elender Kerl, siehe unvernünftige Thiere, wie der Löwe, der Affe und die Schlange haben ihm für seine Gutthat ihren Lohn bezahlt, Du aber hast ihm heute für Gutes Schlechtes erwiesen. Und darum wirst Du Alles, was Du besitzest, und Deine Würde an Guido geben, und ich befehle, daß Du noch am heutigen Tage an den Galgen gehängt werdest. Als dieses die Vornehmen des Reiches hörten, gefiel ihnen dieser Spruch wohl, Guido übernahm die Leitung des Reiches und beschloß sein Leben in Frieden.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 228-232.
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