Hundertunddreiunddreißigstes Capitel.
Von der Seelen Freundschaft.

[258] Es gab einst einen König, der hatte zwei Jagdhunde, die, so lange sie zusammengekuppelt und an einander gefesselt waren, einander lieb hatten, sobald sie aber los gemacht waren, da wollte einer den andern fressen. Wie der König dieses gewahr wurde, that es ihm sehr leid, weil, wenn er mit ihnen spielen und jagen wollte, sie los gemacht mit einander kämpften und auf das Jagdspiel nicht Acht hatten. Der König suchte nun einen Rath dafür, und es wurde ihm gesagt, er müsse einen starken und grimmigen Wolf holen lassen und einer von den Hunden los gelassen werden, um gegen[258] denselben zu kämpfen, und wenn nun dieser Hund beinahe schon besiegt wäre, dann solle er auch den andern Hund gegen ihn loslassen, der erste Hund werde dann, wenn er sähe, daß ihm der andere zu Hülfe käme, nach diesem den andern Hund lieb haben. Dieses geschah denn auch, und wie der Wolf gleichsam schon Sieger war und der erste Hund bereits unterlag, vertheidigte ihn der andere und tödtete den Wolf. Von dieser Zeit an liebten sich Beide gegenseitig sowohl zusammengekuppelt als losgelassen.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 258-259.
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