Siebenundsechzigstes Capitel.
Von der in der äußersten Noth nicht zuläßlichen Entschuldigung.

[110] Es herrschte einst der kluge Maximianus und in seinem Reiche waren zwei Ritter, der eine klug, der andere dumm, die sich beide gegenseitig sehr lieb hatten. Zu letzterem sprach der kluge: beliebt es Dir, mit mir einen Bund zu machen: dieß wird uns von Nutzen seyn. Jener aber versetzte: das ist mir ganz recht. Hierauf versetzte dieser: ein jeder von uns mag Blut aus seinem rechten Arm fließen lassen, ich will Dein Blut trinken, und Du magst mit dem meinen dasselbe thun und so wird keiner von uns den andern weder im Glück noch Unglück verlassen, und was einer von uns gewonnen haben wird, davon soll der andere die Hälfte haben. Jener aber entgegnete: so ist es mir recht. Sogleich tranken nun Beide, nachdem sie sich Blut entzogen hatten, dasselbe von einander und blieben nachher immer in einem und demselben Hause zusammen. Nun hatte aber der König zwei Städte erbaut, die eine auf der Spitze eines Berges, wo Alle, so dahin kamen, einen Reichthum an Schätzen finden und daselbst ihr ganzes Leben verbleiben könnten. Es führte aber zu dieser Stadt ein enger und steiniger Weg und auf diesem hielten drei Ritter mit einem großen Heere und Alle, so über jene Straße zogen, mußten entweder gegen diese kämpfen oder Alles sammt ihrem Leben verlieren. Auch hatte der König in jene Stadt einen Seneschall gesetzt, der ohne Ausnahme alle Ankommende aufnehmen und nach Rücksicht ihres Standes herrlich bewirthen[111] sollte. Er hatte aber auch unter jenem Berge in einem Thale eine andere Stadt bauen lassen, zu welcher ein ebener und zum Gehen anmuthiger Weg führte. Es lagen aber drei Ritter an jenem Wege, welche alle Vorübergehende freundlich aufnahmen und nach eines Jeden Gefallen bedienten. In der Stadt selbst aber hatte er auch einen Seneschall bestellt, der Alle, welche in die Stadt oder in die Nähe derselben kamen, ohne Ansehn der Person ins Gefängniß werfen und sie sämmtlich bei der Ankunft des Richters demselben vorführen mußte, der Richter sollte aber Niemanden verschonen. Da sprach der kluge Ritter zu seinem Gesellen: mein Lieber, laß uns die Welt durchziehen, wie andere Ritter, und wir werden viele Güter erwerben können, von denen wir anständig leben mögen. Darauf entgegnete jener: also gefällt es mir auch. Hierauf zogen Beide auf einer Straße, bis sie an einen Kreuzweg kamen; da sprach der Kluge: mein Lieber, wie Du siehst, sind hier zwei Wege: der eine führt zu einer prächtigen Stadt: wenn wir ihn einschlagen, werden wir zu jener Stadt gelangen, in welcher wir Alles, was unser Herz begehrt, erhalten werden. Da ist aber eine andere Straße, welche nach einer andern Stadt hinführt, welche in einem Thale erbaut ist: gehen wir diese, wird man uns gefangen nehmen, ins Gefängniß stecken, vor den Richter führen und dieser uns an den Galgen aufhängen lassen. Ich rathe also dazu, diesen letztern Weg liegen zu lassen und den andern zu gehen. Darauf erwiederte der Dumme: mein Lieber, schon lange hörte ich von diesen zwei Städten: allein der Weg zu der auf dem Berge gelegenen Stadt ist schmal und sehr gefährlich, und an demselben lagern drei Ritter mit einem Heere, welche Alle, die dahin[112] ziehen, überfallen, tödten und plündern: der andere Weg ist eben und auf demselben befinden sich drei Ritter, welche alle, die denselben betreten, freundlich aufnehmen, und alles Nöthige findet sich da. Und alles Dieses sehe ich ganz deutlich und darum glaube ich meinen Augen mehr denn Dir. Darauf sprach der kluge Ritter: obgleich der eine Weg schlecht zu gehen ist, so ist doch der andere, wenn man an das Ende desselben denkt, noch weit schlechter: denn er führt uns zu ewiger Schmach und von da werden wir zum Galgen geschleppt werden. Nun fürchtest Du Dich aber des Kampfes und der Wegelagerer wegen auf der andern Straße zu gehen. Das ist aber für Dich eine ewige Schande, weil Du ein Ritter bist und es den Rittern zukommt, gegen ihre Feinde zu streiten. Wenn Du aber anders mit mir diese Straße ziehen willst, verspreche ich Dir heilig, vor Dir her in den Kampf zu gehen und soviel ihrer auch seyn werden, Du wirst durch sie hindurch kommen, wenn Du mich unterstützest. Jener aber entgegnete: Amen, ich sage Dir, auf diesem Wege will ich nicht gehen, sondern vielmehr auf jenem. Da sprach der Kluge: da ich Dir mein Wort verpfändet und zum Zeichen der Treue Dein Blut getrunken habe, werde ich Dich nicht allein gehen lassen, sondern mit Dir ziehen. Beide schlugen nun diesen Weg ein und fanden unterwegs nach ihrem Gelüste vielerlei Annehmlichkeiten, bis sie an die Herberge jener drei Ritter kamen, von welchen sie mit großen Ehrenbezeugungen aufgenommen und prächtig bewirthet wurden. Bei jeder Erquickung sprach aber der dumme Ritter zu dem klugen: mein Lieber, habe ich es Dir nicht vorhergesagt, siehe, wieviel und wie große Ergötzlichkeiten wir auf dieser Straße genießen, die wir alle auf der[113] andern hätten entbehren müssen. Jener aber antwortete: Ende gut, Alles gut, das hoffe ich aber nicht. Sie brachten nun einige Zeit bei diesen Rittern zu, als aber der Seneschall dieser Stadt vernahm, daß zwei Ritter gegen das Gebot des Königs in der Nähe der Stadt wären, schickte er gleich seine Trabanten ab, auf daß sie sie fingen und zur Stadt führten. Als sie aber der Seneschall in Augenschein genommen hatte, ließ er den Dummen an Händen und Füßen gebunden in eine Grube werfen, den andern aber in einen Kerker sperren. Wie nun der Richter in die Stadt kam, wurden alle Missethäter aus derselben vor sein Angesicht gebracht und unter andern auch diese beiden Ritter. Da sprach der Kluge zum Richter: Herr ich klage gegen meinen Gesellen: denn der ist Ursache meines Todes. Ich habe ihm das Gesetz dieser Stadt vorhergesagt, sowie die Gefahren und doch wollte er auf keine Weise meinen Worten trauen und sich bei denselben beruhigen und meinem Rathe Folge leisten, sondern antwortete mir: ich traue meinen Augen mehr als Deinen Reden. Da wir nun durch Wort und Schwur mit einander verbunden waren, mochten wir im Glück oder Unglück seyn, und ich ihn allein sich auf den Weg machen sah, so habe ich meines Eides wegen mich ebenfalls hierher begeben, und darum ist er jetzt Schuld an meinem Tode: fälle also einen gerechten Urteilsspruch. Da entgegnete der andre dumme Ritter dem Richter: dieser da ist gerade die Ursache meines Todes, denn es ist der ganzen Welt bekannt, daß er weise ist und ich von Natur aus dumm bin. Nun hätte er aber eben wegen seiner Weisheit nicht so leichtsinnig meiner Dummheit sich fügen sollen. Wäre jener mir aber nicht gefolgt, als ich mich allein auf den Weg[114] machte, so würde ich auf den Weg, welchen er gehen wollte, zurückgekommen und mit ihm marschirt seyn, des Eidschwurs wegen, welchen ich ihm geleistet habe. Darum nun, weil jener weise ist, ich aber dumm bin, so ist er die Ursache meines Todes. Darauf entgegnete der Richter Beiden und zwar zuerst dem klugen Ritter: Du Kluger, der Du so leichtsinnig seiner Dummheit nachgabst und ihm folgtest, und Du Dummer, der Du den Worte des Klugen nicht geglaubt, sondern Deine eigene Dummheit durchgeführt hast, Ihr sollt Beide nach meinem Urtheil an den Galgen gehenkt werden: und also geschah es.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 110-115.
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