Zehnte Erzählung.
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Von dem Kaiser Lucio.

[153] Einst herrschte der gewaltige König Lucius zu Rom, der eine schöne Tochter hatte, die ihm gar lieb war. Nun war ein Ritter an seinem Hofe, der alle seine Dienste der Jungfrau weihete; nun kam es aber eines Tages, daß er sie allein in einem Fenster sitzen fand, und er sprach also zu ihr: edle Jungfrau, lange Zeit habe ich meine Liebe für Euch dem Wind und Wetter ausgesetzt, und Ihr habt das Alles nicht bedenken wollen. Nun will ich aber auch mein Gut um desselbigen Willen auf's Spiel setzen, damit ich Euere Gunst verdienen möge, und bitte Euch, daß Ihr mir saget, was ich darum thun soll, auf daß Ihr mir gestattet, daß ich eine Nacht bei Euch schlafen darf. Da vertröstete sich die Jungfrau auf ihre Kunst und forderte tausend Mark. Des war der Ritter froh und brachte ihr das Geld. Da führte ihn die Jungfrau verstohlen in ihre Kammer und hieß ihn sich niederlegen, und so wie er in das Bett kam, da schlief er ein und schlief die ganze Nacht hindurch. Am Morgen aber stand die Jungfrau auf und weckte den Ritter; der aber erschrak sehr, daß er also Alles verschlafen hatte, und bat die Jungfrau, daß sie sich wieder zu ihm legen solle, die aber wollte ihm solches nicht gewähren. Da dung er mit ihr um die andere Nacht und gab ihr abermals tausend Mark, und da er des Nachts in ihr Bett kam, entschlief er abermals und Alles ging wie zuvor. Da sie ihn aber des Morgens früh aufweckte, erschrack er gar sehr und that sehr kläglich und bat die Jungfrau, daß sie sich wieder zu ihm legte. Das versagte[154] sie ihm aber gar zorniglich, und da er merkte, daß ihm all sein Bitten nichts half, dung er wiederum um die dritte Nacht für tausend Gulden, und schied also traurig von ihr und ging zu einem Kaufmann und bat ihn, er solle ihm tausend Mark auf seine Habe leihen. Das wollte der Kaufmann jedoch nicht, aber Eins, wenn ihm das gefiele, wolle er für ihn machen, daß er ihm das Versprechen gäbe, wenn er innerhalb drei Tagen ihm die tausend Mark nicht entrichten könne, ihm alsdann ein schwer Stück Fleisch von seinem Leibe schneiden zu lassen, wo er es nur haben wolle, und er solle ihm einen Brief darüber geben, der mit seinem Blute geschrieben sey. Dieses Pfand und Gelübde nahm der Ritter an und gab ihm darüber einen Brief, so wie er begehrt hatte. Hierauf gab ihm der Kaufmann das Geld, und er ging mit demselben gen Hofe und begab sich zu der Jungfrau. Unterwegs aber begegnete ihm ein weiser Philosophus, der sprach also zu ihm: es nimmt mich Wunder, daß Ihr also einfältig seyd, dem zu trauen, der Euch schon zweimal betrogen hat. Da fragte ihn der Ritter, wie er das meine. Da sprach jener: die Jungfrau, bei welcher Ihr zwei Nächte geschlafen habt, hat einen Brief in ihrem Bette, durch welchen Ihr alle Nächte eingeschlafen seyd, und doch geht Ihr abermals zu ihr. Nun rathe ich Euch aber ungebeten, wenn Ihr nicht verderben wollt, daß Ihr diese Nacht, wenn Ihr Euch schlafen legen sollt, unter das Kopfkissen in dem Bette greifen möget, da findet Ihr einen Brief, den ziehet heraus und werft ihn von Euch, so weit Ihr könnt; darauf leget Euch nieder und thut, als ob Ihr auf der Stelle eingeschlafen wäret, da wird sich die Jungfrau sogleich zu Euch legen. Wie das der Ritter vernahm, dankte er dem Meister gar sehr und ging zu der Jungfrau und gab ihr das Geld.[155] Da wies sie ihn in ihre Kammer und hieß ihn sich niederlegen. Das that er, vergaß aber das nicht, was ihn der Meister gelehrt hatte, und wie die Jungfrau das gewahr worden war, daß er eingeschlafen sey, da legte sie sich zu ihm, er aber griff sie an und drückte sie an sich und sprach: Frau, es ziemt sich, daß ich mein Geld nicht also unnütz verlieren soll. Des erschrack die Jungfrau gar sehr und bat ihn mit heißen Zähren, er solle sein Geld alles wieder nehmen, sie aber in Frieden lassen. Des wollte er sie aber nicht erhören und sprach: nicht allein mein Geld, ja alle Habe Eueres Vaters nähme ich darum nicht an. Und alsbald überwältigte er sie und vollbrachte seinen Willen an ihr. Aber in demselben Augenblicke ward auch das Herz der Jungfrau so verwandelt, daß er ihr gar hold wurde, und sie behielt ihn eine ganze Woche bei sich in ihrer Kammer, ohne daß Jemand darum wußte. Aber mitten unter diesen Freuden vergaß er das Gelübde, welches er dem Kaufmanne gethan hatte, und als er daran gedachte, da erschrack er sehr und begann kläglich zu weinen. Da fragte ihn die Jungfrau, warum er also thue und was ihm geschehen sey. Da sagte er ihr, wie er sich gegen den Kaufmann verpflichtet und wie er nun den Tag versäumt habe, und das sey die Ursache seiner Klagen. Da tröstete ihn die Frau und sprach: gehe zu ihm und biete ihm sein Geld an, und ist es, daß er es nicht nehmen will, so frage ihn, was er denn von Dir haben will und komme dann zu mir, daß ich es Dir geben kann. Das that der Ritter und ging zu dem Kaufmann und bat ihn, er solle sein Geld nehmen, der aber wollte ihn schlechterdings nicht erhören und sprach, er wolle sich an seinen Brief halten und nicht anders thun, und führte ihn sogleich vor den Richter. Nun war aber das Recht[156] des Gesetzes, daß wozu sich einer willig verbunden hatte, das mußte er also ausrichten. Es hatte aber die Frau Boten ausgesandt, die nachsehen und sich erkundigen sollten, wie es ihm erginge. Die kamen aber zu ihr zu rück und sagten ihr, er stehe gefangen vor Gericht. Das erschreckte sie sehr und sie legte eilig Mannskleider an, setzte sich auf ein Pferd und ritt zu dem Gerichte und ward von Jedermann für einen Ritter gehalten. Da ging sie zu dem Kaufmann und fragte ihn, ob er Geld nehmen und sich seines Zornes gegen den Ritter abthun wolle. Das wollte der Kaufmann aber nicht erhören, und da die Frau vernahm, daß ihr kein Gut bei ihm helfen möge, da sprach sie: wohlan, da sich dieser Ritter des verbunden hat, so soll er seinem Versprechen also nachkommen. Nun wisset Ihr wohl, daß des Gesetzes Recht ist, wer eines Menschen Blut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden. Nun hat sich dieser Ritter verbunden, daß, so er den gesetzten Tag versähe, man ihm dann ein schwer Stück Fleisch von seinem Leibe schneiden könnte, wo Ihr es haben wolltet. Nun ist der Ritter bereit seinem Gelübde nachzukommen, aber Du mußt das so machen, daß Du sein Blut nicht vergießest. So Du aber doch sein Blut vergießen wirst, so wird billig erkannt, was Du ihm dafür schuldig bist. Da das der Kaufmann vernahm, hätte er sein Geld gern genommen. Da sprach aber die Frau: nein, das geschieht nun nicht, da Du es vorher nicht hast annehmen wollen, und rief den Richter darum an, daß er sage, was Rechtens wäre. Der entschied aber allerseits, daß der Kaufmann schneiden dürfe, vom Blutvergießen aber nicht die Rede seyn könne, und der Ritter also billig Zu entlassen sey. Wie jene das vernahm, dankte sie dem Richter und zog also von dannen, ritt wieder[157] an ihren Hof, legte das Gewand von sich und kleidete sich wieder in ihre Kleider, als ob sie gar nicht fort gewesen wäre. Während der Zeit kam auch der Ritter zu ihrem Hofe und begab sich zu der Frau; die fragte ihn, wie es ihm gehe, ob er sich mit dem Kaufmann vertragen hätte, und er hub an und sagte ihr Alles, wie es ihm vor dem Richter ergangen war und wie ein Ritter gekommen sey, der allen Leuten unbekannt gewesen wäre, der habe ihn mit seiner Weisheit vom Tode errettet. Da fragte ihn die Frau, warum er ihn nicht mit an den Hof gebracht hätte, er aber sagte, er sey allsogleich von dannen gezogen, und sie wüßten nicht, wohin er gekommen sey, Eines aber wisse er, daß er alle seine Tage nie einen klügeren Ritter gesehen habe. Da sprach sie: so Du den Ritter sähest, ist es Dir so, als ob Du ihn dann erkennen würdest? Er aber sagte: ja wohl. Da eilte sie in ihre Kammer und legte die Kleider wieder an, die sie vorher angehabt hatte, und trat also vor ihm hin. Da erkannte er, daß sie es gewesen sey, und empfing sie und sprach: gesegnet ist der Tag, wo Du geboren wardst. Darnach brachte es die Jungfrau mit ihrer Klugheit zu Wege, daß sie ihr Vater dem Ritter zum Weibe gab, und sie brachten ihre Tage in Seligkeit zu.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 153-158.
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