Sechsundzwanzigste Erzählung.
† (96).
Von einer Brücke und bösen Thieren darunter.

[214] Es war einmal ein Mann, der sollte aus einem Lande ins andere gehen, der kam an eine Brücke, über die er gehen mußte. Der sah vor sich einen schrecklichen Löwen, an seiner rechten Seite einen Drachen und an der linken ein großes Meer. Wie er aber das Dreies also gesehen hatte, da wollte er nicht fürbaß gehen, sondern wieder[214] umkehren. Da stand am Wege ein Engel, der hatte in der einen Hand ein Schwert und in der andern eine Krone. Der sprach zu ihm: verschmäh, widersteh, zertrete, des Meeres Glück, des Thieres Zorn, des Drachen Untreue, die brich elendiglich und alsbald, ich gebe Dir dazu ein Kreuz, damit Du Alles machen kannst. Der Mensch aber, sobald er den Engel erblickt hatte und dieses gehört, da überwand er Alles und entfloh ihm, denn er tödtete den Löwen und zertrat den Drachen, von dem Löwen aber nahm er die Krone für den Sieg.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 214-215.
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