Vierte Erzählung.
* (38).
Von dem großen Alexander.

[135] Man liest, daß der große König Alexander an des Königs Pori von India Hof kam, und zwar in der[135] Gestalt eines schlichten Ritters, und wollte dessen Macht kennen lernen. Nun wähnte Porus, es sey Antiochus, einer der Ritter Alexanders, und nahm ihn würdiglich auf. Es saß aber einst Alexander mit an seinem Tische, und so oft man eine silberne Schüssel oder Kanne vor ihm gesetzt und er sie geleert hatte, so steckte er sie in seinen Aermel. Das ward dem Könige Poro angezeigt, und der fragte ihn mitten unter den Andern, wie er das meine. Der aber sprach: Herr König, ich habe Dich doch aller Wegen weit über Alexander ob Deiner Ritterlichkeit und Prachtliebe rühmen hören: nun ist aber die Sitte am Hofe Alexandri so, daß alle Ritter, die an seinem Tische sitzen, was man ihnen vorsetzt, Töpfe oder Schüsseln, sie seyen gülden oder silbern, diese behalten als ihr Eigenthum. Nun habe ich Dich weit mildthätiger mit Deiner Habe geschätzt denn Alexandern und gemeint, dasselbe Recht auch an Deinem Hofe zu erhalten. Da das die Ritter Pori hörten, zogen sie alle mit Alexander von dannen, und er gab ihnen viele Geschenke und Sold, und sie fochten mit ihm wider König Porum, erschlugen ihn und gewannen das ganze Land India.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 135-136.
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