X.

[21] Amru, der Sohn Rebia's, der Fürst der Dichter, der Vetter des Chalifen Abdolmelek, erzählt von sich selbst die folgende Geschichte.

Ich las eines Tages ganz ruhig in meiner Wohnung, als sich eine alte Frau bey mir ansagen ließ. Ich will dir, sagte sie, Gelegenheit verschaffen, die größte Schönheit unter der Sonne zu schauen, doch mit der Bedingniß, daß du ihr nicht zu nahe tretest, daß deine Worte bescheiden und wohl abgemessen seyen. Ich beschwor es auf den Koran. Ich mußte[21] mir die Augen verbinden lassen, und sie führte mich eine geraume Zeit in mancherley Richtungen, bis sie mir die Binde abnahm.

Ich befand mich in einem prächtigen Zelte aus rothem Sammet, mit großen goldenen Blumen, voll der schönsten Sklavinnen. Ein Sitz von Ebenholz stand für mich bestimmt. Ich hatte mich noch nicht erholt von meinem Erstaunen, als ein Vorhang aufrauschte, und eine Dame überirdischer Schönheit sich an meiner Seite niedersetzte. Wir koseten und lachten, und sangen dir ganze Nacht hindurch. Gegen Morgen sang sie eins meiner Lieder, das mit dem Verse anfängt: Sie, deren schwellender Busen. Wer ist diese Schönheit, fragte sie mit schwellendem Busen? – Ich kenne sie nicht, antwortete ich; es ist ein luftiges Dichterideal, oder, wenn man lieber will, eine Gaselle.

Lügner, rief sie, indem sie mir eine derbe Ohrfeige gab; so seyd ihr alle, ihr anderen Dichter. Dein Lied ist weitberühmt, in Hedschas, Irak und Syrien, und du behauptest, es handle blos von einem Luftbilde. Sklavinnen, schafft mir den Lügner vom Halse. Man verband mir die Augen und führte mich nach Hause.

Am folgenden Tage abermaliger Besuch der alten Frau, und wiederholter Vorschlag. Ich gieng die Bedingniß ein, und beschwor sie auf den Koran. Die Binde ward mir abgenommen in einem schwarzen[22] mit Gold durchstreiften Zelt. Meine Dame erschien, von ihren Sklavinnen umgeben, setzte sich neben mir nieder, und begann wie gestern die Unterredung.

Die Stunden verfloßen wie die der vorigen Nacht unter Sang und Scherz. Endlich fragte sie mich, wer ist der Verfasser des bekannten Liedes:


Hast du mich jüngst gesehn

In der Mitte dreyer Schönen u.s.w.


Ich bins, antwortete ich. Nun, wer sind die drey Schönen? – Auf meine Ehre! erwiederte ich, ich kenne sie nicht, und sie leben nur im Liede. – So also, fiel sie mir in die Rede, wenn kein wahres Wort daran ist, was unterstehst du dich, mit Gunstbezeugungen dich zu brüsten, die du nicht erhalten! Da, Lästrer! – (Sie gab mir eine derbe Ohrfeige) – Sklavinnen! entfernet ihn aus meinem Angesichte.

Ich kam nach Hause mit verbundenen Augen und brennenden Wangen. Verzweifle nicht, sprach die alte Frau im Weggehen. Ich warf mich aufs Bett nieder, aber kein Schlaf kam in meine Augen.

Am andern Tage erschien die alte Frau früher als gewöhnlich, fragte um mein Wohlbefinden, und ob ich nicht Lust hätte, zu meiner Dame zurückzukehren. Ich beschwor dieselben Bedingnisse auf den Koran, sann zugleich aber auf ein Mittel, die Wohnung meiner Schönen ausfindig zu machen. Ich färbte meine linke Hand mit Safran, und als wir[23] uns an der Thüre befanden, fuhr ich mit der Hand auf dem Thürflügel herum, als ob ich nach der Thüre tappte.

Die Binde ward mir abgenommen, und ich befand mich in einem Zelte von grünem Atlas mit großen silbernen Blumen. Die Dame kam, setzte sich neben mir und lachte nicht wenig, als sie sah, daß meine Wange noch von der gestrigen Ohrfeige brenne. Wir unterhielten uns von tausenderley Gegenständen, von Abentheuern aus Jemen und Hedschas, von den merkwürdigsten Begebenheiten der arabischen Geschichte, von der Liebe und ihren Süßigkeiten. Ich dachte mich wahrhaftig ins Paradies verzückt. Endlich fragte sie mich: Wem gehören die bekannten Verse zu?


Die Sänfte gieng vorüber,

Ich sah Sie nicht, ich hört' Ihr Kosen,

Da lüftete der Wind den Schleier,

Und wehte Wohlduft von der Wangen Rosen.


Ich bekannte mich zum Verfasser; und wer ist denn die Schöne in der Sänfte, die du nicht sahst, sondern nur hörtest, und mit der du, wie das Lied ausgeht, in der Sänfte glücklich warst? – Habe Mitleiden mit mir, sprach ich, Schönste der Frauen! Ich habe nichts hierauf zu antworten, als was ich schon gestern und vorgestern sagte. – Also, so lästerst und verläumdest du die Frauen. Du bist ein Nichtswürdiger, der ihrer Gesellschaft nicht werth ist; Sklavinnen, züchtiget ihn, wie ers verdient. Sie fielen[24] über mich her mit Fäusten und Nägeln, zerschlugen und zerkratzten mich auf eine erbarmenswerthe Weise, und die alte Frau übernahm mich mit verbundenen Augen. Aber statt mich diesmal nach Hause zu begleiten, hörte ich, daß sie auf der Gasse einen Menschen anredete, ihm Geld und den Auftrag gab: Geh und führe diesen Mann mit verbundenen Augen in das Haus Amru's, des Sohns Rebia's des Dichters, der ein großer Taugenichts ist, und dessen Schwelle ich nicht mehr betreten will.

Ich konnte den Augenblick nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Ich warf mich aufs Bett, ohne ein Auge zu schließen. Was mir begegnet, und der Schmerz der empfangenen Schläge, hielten den Schlaf von meinen Wimpern ab.

Mit Tagesanbruch versammelte ich alle meine Sklaven, gab ihnen den Auftrag, das Haus oder das Zelt ausfindig zu machen, dessen rechter Thürflügel mit Safran gefärbt wäre, und versprach dem Entdecker tausend Dukaten. Noch vor Mittag kam einer derselben mit freudigem Gesichte gelaufen. Gute Nachricht, gnädiger Herr! ich habe die Thüre gefunden, deren rechter Flügel mit einer in Safran getauchten Hand bezeichnet ist. Richtig, rief ich voll Freuden, zahlte ihm die tausend Dukaten aus, und ließ mich an Ort und Stelle führen.

Wie groß war nicht mein Erstaunen, als ich sah, das bezeichnete Zelt sey eines der Zelte der Prinzessin [25] Merwe, der Tochter des regierenden Chalifen Abdolmelek. Sogleich ließ ich meine Zelte in der Nähe aufschlagen, und spazierte lang genug herum, um von der Prinzessin bemerkt zu werden. Sobald sie sah, sie sey entdeckt, kam sie heraus, lüftete den Schleyer und sagte: Sieh da, Amru, hast du keine Lust, dein Abentheuer zu besingen, wenigstens läufst du nicht Gefahr zu lügen, und hast nicht Noth, die Schläge aus der Luft zu greifen, wie deine idealischen Schönen.

Ich sagte sogleich aus dem Stegreife mehrere Verse her, die mir die zärtlichste Liebe eingab, und die bald in jeglichem Munde waren. Das Gerede, das sie verursachten, und das Gerücht von der Uebertragung meiner Zelte, kam gar bald bis an den Hof des Chalifen, der damals in Damaskus residirte. Er berief seine Tochter zu sich, und ich machte die Reise in ihrem Gefolge. Aber die Gluth der Leidenschaft verzehrte mich, und ich war sehr krank, ohne es zu wissen.

Zwey Stationen von Damask kamen Abgesandte, der Prinzessin zu melden, der Chalife mit allen Großen der Familie Ommia komme ihr entgegengezogen. Der Zug kam bald hernach an.

Der Chalife stieg ab, gieng ins Zelt, bewillkommte die Prinzessin über ihre glückliche Ankunft und sagte: Meine Tochter Merwe, du mußt der Etikette nach deinen Einzug bey Nacht halten, damit dich Niemand[26] sehe. – Sehr wohl, mein Vater, mir ist übrigens wirklich gleich viel, ob mich die Leute sehen, oder nicht sehen.

Beym Herausgehen erblickte er meine Zelte und fragte, wessen sie wären? Amru's, des Sohns Rebia's, war die Antwort. Ich nahte mich und grüßte den Chalifen nach hergebrachter Sitte mit den Worten:

»Heil und Gottes Erbarmung über Dich, Fürst der Rechtgläubigen!« – Weder Heil noch Erbarmung über dich, antwortete der Chalife. – Und warum, mein Vetter, behandeln mich Euer Liebden so unfreundlich? – Unglücklicher! hast nicht du meine Tochter mit deinen Versen in übeln Ruf gebracht, und er recitirte die Verse, die ich aus dem Stegreife hergesagt hatte, als die Prinzessin aus dem Zelte getreten war. – Vergebung, Fürst der Rechtgläubigen, die Verse gehen die Prinzessin nichts an, sie sind an eine idealische Schönheit gerichtet, die, wie Euer Liebden bekannt ist, nur in dem Hirne der Dichter existirt. Du lügst, sprach der Chalife lachend, aber dann auf einmal mit veränderter Gesichtsfarbe, und in sehr ernstem Tone: Hast du eine Frau? Ich kenne nur Eine, und das ist deine Tochter, Fürst der Rechtgläubigen, antwortete ich mit großem Muthe. Nun so nimm sie denn, fuhr der Chalife fort, ich vermähle sie dir.

Trunken von Freude rief ich aus: Wie verdiene[27] ich so großes Glück, ich Sklave des Fürsten der Rechtgläubigen, ich, der nur eine Klinge aus dem Waffenschatz seiner Macht bin! wie bin ich werth befunden worden, dieser Verbindung mit dem größten Monarchen unserer Zeit!

Das Sprüchwort sagt, erwiederte der Chalife, Wer um den Schleyer frägt, der kauft ihn, und ließ auf der Stelle Richter und Zeugen rufen, um den Heirathsvertrag der Prinzessin abzufassen. Er gab ihr fünfzigtausend Dukaten zur Aussteuer. Die Hochzeit ward auf der Stelle gefeyert. Ich lebte drey Jahre mit ihr, die glücklichsten meines Lebens, dann starb sie und hinterließ mir drey Perlengebinde zum Angedenken, die mich ins Grab begleiten werden.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 21-28.
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