CI.

[209] [Rand: Alaim.] Einen Menschen, der, ohne geladen zu seyn, sich in eine Gesellschaft einzuschleichen, und durch sein Talent gesellschaftliche Unterhaltungen zu verschönen, die Ehre, daran Theil zu nehmen, verdient, einen solchen geistreichen liebenswürdigen Tischfreund, den mancher mit dem unedeln Namen eines Schmarozers oder Tellerleckers betiteln würde, heißen die Araber Tofail; und da besonders unter der Regierung Harums und Mamun's die Kunst gesellschaftlicher Unterhaltung im höchsten Flore stand, so sind auch aus dieser Epoche verschiedene Anekdoten von solchen ungebetenen Gästen auf uns gekommen.

So lebte in damaliger Zeit zu Kufa ein junger Mensch von äusserst glücklichen Anlagen und sehr feiner Bildung, die ihn zum geistreichsten und liebenswürdigsten Gesellschafter eigneten. Er besaß ein ausserordentliches Gedächtniß, und hohe natürliche Beredtsamkeit. Die schönsten Stellen arabischer Dichter waren ihm geläufig, und in der Geschichte war er vollkommen bewandert. Es entgieng ihm keine Gelegenheit, den Reichthum seiner Belesenheit und seines Witzes geltend zu machen, überall fand er die glücklichsten Beziehungen und Anspielungen auf, und über sein ganzes Wesen war eine immer sich gleiche heitere Laune ausgebreitet.

Er hatte seine schönsten Jahre und sein ganzes Erbe in der besten Gesellschaft von Kufa verlebt,[210] und da ihm von seinem Genuß und Reichthum nichts, als das immer rege Spiel seiner Geisteskräfte, und eine heitere Gemüthsstimmung übrig geblieben war, so beschloß er, nach Bagdad zu reisen, um dort sein Glück zu versuchen. Er stieg in einem der größten Chane ab, und mischte sich sogleich in den Zirkel von Fremden und Einheimischen, die sich mit den Neuigkeiten des Tages herumtrugen. Für heute gab es nichts Wichtigeres, als daß der Chalife Mamun beschlossen hatte, diesen Tag mit seinem Bruder Moteaßem ganz allein, das heißt: bloß im vertrautesten Kreise des Harems, zuzubringen. Der junge Mensch faßte schnell den kühnen Entschluß, sich als dritter Mann in die Gesellschaft des Chalifen und seines Bruders zu stehlen, und auf diese Art entweder sein Glück zu machen, oder den Kopf zu verlieren. Sogleich suchte er von seinen Bekannten, deren er eine Menge in Bagdad antraf, die nötigsten Kleidungsstücke zu einem glänzenden Hofanzuge zu entlehnen. Von diesem Unter- und Ueberrock, von jenem Schal und Turban, vom dritten Gürtel und Säbel.

Als er sich ausstaffiert hatte, gieng er ins Bad, ließ sich scheeren, knäten und durchsalben. Von da begab er sich, ein wenig vor Sonnenuntergang, grade zum Pallaste Moteaßem's, wo er sich durch den Thorhüter als einen Abgesandten des Chalifen ansagen ließ. Er kam vor und sprach: Herr! der Fürst[211] der Rechtgläubigen grüßet dich, und fragt dich: ob du deines Versprechens, den heutigen Abend allein mit ihm in trauter Gesellschaft zuzubringen, vergessen habest? – Nein! wahrlich nein! ich hab' es nicht vergessen; aber mein Nachmittagsschlaf verspätete mich heute ungewöhnlich. – So eile nun, Herr, denn der Fürst der Rechtgläubigen hat mir den Auftrag gegeben, nicht von deiner Seite zu gehen, bis ich dich in seine Gegenwart gebracht.

Moteaßem befahl die Pferde vorzuführen, wusch, kleidete und parfümirte, und machte sich auf den Weg, in Begleitung des Jünglings, den er für einen der vertrautesten Tischgenossen des Chalifen ansah, und mit dem er sich sehr gerne unterhielt; so schön und süß war seine Rede, so einnehmend seine Sitte.

Sie kamen bis an das Thor des Pallastes, wo der Jüngling mit Moteaßem abstieg, und mit ihm das innerste Gemach des Chalifen betrat. Dort setzte er sich nieder, als ob er längstens da zu Hause gewesen wäre, zwischen Moteaßem und den Chalifen, der ihn für einen der vertrautesten Tischgenossen und Gesellschafter seines Bruders hielt. Das Gespräch begann, und der Jüngling wußte so geschickt den Ball der Rede zu schlagen, daß der Chalife und Moteaßem mit Vergnügen dem hochschwebenden Fluge desselben zusahen. Vom Größten bis zum Kleinsten, vom Ernstesten bis zum Leichtesten, Alles umfaßte sein Geist, über Alles goß er das Schimmerlicht[212] seines Witzes aus, und ordnete die mannigfaltigsten Einfälle zu einem schönen Ganzen. Seine Worte waren so viele durchbohrte Perlen, die er an dem Faden des Gespräches zum schönsten Hals- und Armschmucke zusammen zu reihen wußte. Der Chalife war entzückt über seinen unbekannten Gast, und konnte seinem Bruder, der ihm denselben mitgebracht hatte, nicht genug Dank wissen. Er erwartete mit Ungeduld die Gelegenheit, ihm denselben zu bezeigen. Indessen kam die Stunde des Essens. Die Tafel ward aufgetragen, und nach aufgehobenem Tische befahl Mamun, daß die Sklavinnen des Harems unentschleiert vortreten sollten.

Sie sangen und spielten. Da war kein Ton und keine Weise, in welcher der Jüngling unerfahren gewesen wäre, was dann die Hochachtung des Chalifen für ihn nicht wenig erhöhte. – Endlich kam der Augenblick, wo ein dringendes Bedürfniß den jungen Menschen zwang, sich zu entfernen. Er wußte wohl, daß er, so bald er den Rücken gewendet hätte, auch entdeckt seyn würde, und hielt sich für verloren; indessen hatte er doch Muth genug, wieder zurück zu kommen. Während seiner Abwesenheit hatten sich Mamun und Moteaßem zugleich mit Fragen angefallen, wer denn des andern Freund und Tischgenosse sey? Keiner wußte Bescheid, und nun war der ungeladene Fremdling entdeckt.

Mamun fuhr im ersten Zorne gewaltig auf, und[213] ordnete die Sklavinnen des Harems sogleich hinweg. Als der Jüngling zurückkam, die Mädchen auf der Flucht und den Chalifen voll Grimmes erblickte, wandte er sich mit festem und ruhigem Ton an den Bruder des Chalifen. Ebi Ishak (dies war sein Vorname), redete er ihn an, das ist wider dein gegebenes Wort, so sind wir nicht eins geworden, daß du mir wieder einen deiner gewöhnlichen Streiche spielen, und dem Fürsten der Rechtgläubigen, der Himmel weiß was für Mücken in den Kopf setzen sollst. Dann fuhr er fort, sich gegen Mamun wendend: So macht er mir's immer, Herr, und stürzt mich durch seine Scherze in Abgründe, aus denen ich mich oft nur mit tausend Noth rette. – Dann wieder zu Moteaßem: So höre doch auf, und mache des Scherzes ein Ende; ich beschwöre dich beym Haupte des Fürsten der Rechtgläubigen. Mamun, als er so viel Festigkeit und Zuversicht sah, wußte selbst nicht, wie er dran sey, und wer von Beyden die Wahrheit rede, der Tischgenosse oder Moteaßem. Er beschwur diesen, ihm doch die Wahrheit zu gestehen, und Moteaßem schwur hoch und heilig, daß er den jungen Menschen heute zum erstenmale gesehen habe. Dieser hingegen strafte ihn mit Betheurungen, und umständlichen Details von Orten und Gelegenheiten, wo sie beysammen gewesen seyn sollten, zu Lügen. Mamun mußte lachen, und wußte sich nicht anders aus dem Zweifel zu helfen, als daß er dem jungen Menschen Verzeihung[214] verhieß, wenn er ihm die Wahrheit gestehen wollte. Er gestand, und Mamun gefiel sich so gut in seiner Gesellschaft, daß er die Sklavinnen des Harems wieder zurück bringen ließ. Dann begehrte er, er solle ihm ohne Hehl das Merkwürdigste erzählen, was ihm auf seinem Wege von Kufa nach Bagdad begegnet. Sogleich improvisirte der Jüngling:


Ich hatte eine lange Nacht

Im Karawanserai durchwacht.

Ich dachte über Manches her und hin,

Ich fand nicht Ruhe noch Gewinn.

Auf einmal öffnet sich das Thor,

Ich horchte hin mit leisem Ohr;

Es war des Wärters Weib, sie sprach:

Bist du umsonst die Nacht durch wach,

So brich mir meinen Lohn nicht ab,

Und gieb mir, was noch Jeder gab.

Du läßt die kleine Zelle leer,

Die Zeiten leider, sind so schwer;

Drum zahle du auch mir den Lohn,

Das Uebrige versteht sich schon.


Der Chalife lachte, als ob er bersten wollte, und stampfte vor Vergnügen mit den Füßen auf die Erde. Nun, ist dir kein weiteres Abentheuer begegnet? Ja, Herr! Kaum hatte ich das Karawanserai verlassen, als ich auch den Weg verloren hatte, und mich in der Nothwendigkeit sah, Alle, die mir begegneten, um die rechte Straße zu fragen. Dies gab mir ein Paar Verse ein, die ich vor mich hin in den Bart brummte:


Beklagenswerth ist wohl des Fremdlings Loos,

Der sich hinauswagt in die Welt, die weite;[215]

Er fragt und fleht umsonst so Klein und Groß;

Daß Jemand ihn die wahre Straße leite.


Ein schönes Mädchen, das eben vorbeygieng, antwortete sogleich aus dem Stegreife:


Die Führerin, o Fremdling! will ich seyn,

Und gerne dich die wahre Straße leiten,

Doch wiss', der Weg ist eng, daß Thor ist klein,

Es brauchet festen Fuß, nicht auszugleiten.


Zugleich warf sie mir in einem Papier zehn Silberstücke zu, mit denen ich in den Stand gesetzt ward, meine Schuld in den Karawanserais abzutragen, und meine Reise weiter fortzusetzen.

Mamun war so zufrieden mit dem gesellschaftlichen Talente des Jünglings, daß er ihm hundert tausend Silberstücke auszahlen ließ, und ihn unter die Zahl seiner vertrautesten Tischgenossen ausnahm. Er ward berühmt unter dem Namen: Tofail Moteaßem, und verfertigte mehrere kleine Gedichte, moralischen und ästethischen Inhalts, deren eines Mamun auf den Vorhang des Harems sticken ließ1.

1

Die Mode, Verse und Sprüche über die Thüren zu schreiben und in die Vorhänge zu sticken, hat sich noch bis heut' im Morgenlande, und besonders im Serail von Constantinopel, wo manche Inschriften mit Perlemutter in Holz eingelegt, oder mit Perlen in Seide eingestickt sind, bis zur Verschwendung erhalten.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 209-216.
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