CXIX.

[250] In den Tagen des ägyptischen Sultans, Achmed [Rand: Alaim.]. Ibn Tulmis, der auf den Bau der großen nach seinem Namen benannten Moschee in Kairo allein hunderttausend Dukaten verwendet hatte, trug sich folgende Begebenheit zu:

Ein armer Mann lebte in der Nähe dieser Moschee, deren reichliche Stiftungen damals alle ähnliche Anstalten an Reichthum übertrafen. Die Einkünfte der Alemas und Moscheediener beliefen sich monatlich auf zehntausend Dukaten, außer hundert Dukaten, die als Almosen zur täglichen Vertheilung unter die Armen bestimmt waren.

Dieser arme Mann nährte sich mit seinem Weibe und einer Tochter von Wollenspinnerey. Eines Tags bat die Tochter, ihre Aeltern auf den Markt begleiten zu dürfen, wo sie Wolle einkaufen sollten. Die Aeltern nahmen das Mädchen mit, als sie aber an das Thor Balbil's gekommen waren, hatten sie ihre Tochter im Gedränge verloren, zu nicht geringer Bestürzung. Das Mädchen von außerordentlicher Schönheit und Unschuld wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, als eben der Emir Balkil zum Thore herausritt.

Er sah sie, verliebte sich auf der Stelle, und ließ sie in sein Haus bringen, wo er sie seinen Sklavinnen übergab, daß sie dieselbe waschen, kleiden, und mit köstlichen Wohlgerüchen durchdüften sollten. Dann[251] zwang er sie mit Gewalt in sein Bette, und zerstörte an ihr, was an den Huri's des Paradieses unzerstörbar ist. Die Aeltern suchten indessen ihre Tochter auf allen Orten, und kehrten verzweiflungsvoll mit leeren Händen und thränenvollen Augen nach Hause zurück.

Als es finster war, klopfte Jemand an der Thür, und eine Stimme erscholl: Ich bin der Emir Balkil, der deine Tochter geraubt, und ihre Jungfrauschaft genossen hat. Ich dächte, du ließest mir nun das Mädchen, ohne viel Lärmens zu machen, denn besser wird sie dir schwerlich Jemand bezahlen, als ich. Der arme Mann wollte nichts von den Vorschlägen hören, und sank sinnlos zur Erde. Als er sich erholt hatte, gieng er hin zum ersten Gebetausrufer der Moschee Ibn Tulun's. Es war seine Amtspflicht, nicht nur das Gebet, sondern auch andere außerordentliche Kundmachungen von dem Minare auszurufen. Als ein besonderer Freund des Vaters des Mädchens stieg er nun aufs Minare gerade gegegenüber dem Pallaste des Sultans1, und rief die Schandthat aus mit lauter Stimme, so daß sie zu des Sultans Ohren kam.[252]

Achmed Ben Tulmi ließ erst die Aeltern des Mädchens, und dann den Emir rufen. Viel Glück zur Hochzeit! redete er den letzten an. – Ich verstehe dich nicht, o Herr! – Wie so? Kannst du läugnen, daß dieses die Aeltern deiner Braut seyen? Du, fuhr er dann fort, sich zu dem Vater des Mädchens wendend, vermählest deine Tochter diesem meinem Mameluken mit einer Morgengabe von tausend, und mit einem Heyrathsgute von zehntausend Dukaten. Die Zeugen erschienen, der Ehekontrakt ward aufgesetzt, und unterfertiget nach aller Form.

Als die Zeugen abgetreten waren, befahl der Sultan, dem Emir den Kopf abzuschlagen. Der Befehl ward vollstreckt, und der Kopf rollte blutig auf dem Marmorboden hin. Deine Tochter hat ihren Gemahl geerbt, sagte der Sultan, sie ist nun die Frau seines ganzen Vermögens. Die Aeltern dankten, und giengen, und in ganz Cairo erscholl der Ruf von Achmed, des Sohns Tulmis, strenger Gerechtigkeitsliebe. Leider! daß er ihr nicht immer treu geblieben, sondern in der Folge dem Volke Anlaß genug gab, über seine Tyranney zu schreyen.

1

Die ungeheure Steinmasse der Moschee Achmed Ben Tuluns thürmt sich noch heute dem Schlosse von Kairo gegenüber, wo die Sultane wohnten. In den Revolutionen Kairo's mußte dieselbe als Batterie dienen, daraus das Schloß zu beschießen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 250-253.
Lizenz:
Kategorien: