XII.

[28] Der Chalife Abdolmelek, Sohn Merwans, gab [Rand: Alaim.] seinem Statthalter Hedschadsch, dem Sohne Jussufs, den Auftrag, ihm die drey schönsten Sklavinnen, die er finden könnte, zu senden. Hedschadsch wandte sich an die drey berühmtesten Sklavenhändler des Reichs, welche ihm die drey größten Schönheiten, so sie ausfündig gemacht hatten, zuführten. Hier folgt die Personsbeschreibung derselben, welche Hedschadsch dem Chalifen einsandte, und die sich aus den geheimen Archiven des Chalifates bis auf unsere Zeiten erhalten hat.

Die erste hat funkelnde Augen und schön gerundete Arme. Ihr Busen sproßt, und treibt wie die Rosenknospen in den ersten Tagen des Frühlings; ihre Schenkel leuchten wie polirter Alabaster im Mondenschein; sie ist weiß wie geglättetes Silber.

Die zweyte ist ein Modell des schönsten Ebenmaaßes aller Glieder. Der süße Ton ihrer Stimme würde Kranke heilen und Todte zum Leben erwecken. Eine anziehende Brünette.

Die dritte hat die Augen der Gaselle, die Gesichtsfarbe der Rose, den Wuchs der Cypresse, den Wohlgeruch des Moschus, das Haar schwärzer als Ebenholz, die Zähne weisser als Elfenbein. Ihre Wimpernhaare sind so viel Pfeile, welche die Herzen durchbohren, und das Mal auf ihrer Wange dunkelt[29] wie das Korn des Lebens auf der glänzenden Flur des Paradieses.

Hedschadsch übergab die drey Sklavinnen, nachdem er sie besichtiget und beschrieben hatte, den drey Sklavenhändlern mit dem Befehle, dieselben wohl verwahrt dem Chalifen zuzuführen. Einer der drey Kaufleute, alt und gebrechlich, bat, von der Reise überhoben zu seyn, und statt seiner seinen Sohn stellen zu dürfen, was Hedschadsch gerne gewährte. Auf dem Wege lüftete der Wind auf einen Augenblick den Vorhang der Sänfte, und der junge Mensch ward auf der Stelle sterblich verliebt in die ihm von seinem Vater anvertraute Schönheit. Er sang aus dem Stegreife:


Selbst durch den Schleier dringt der Pfeil in's Herz,

Und es zerbirscht aus übergroßem Schmerz.

Es birst die Erde vor dem Sonnenfeuer,

Wiewohl es sich verbirgt im Wolkenschleier.


Eine überaus melodische Stimme antwortete aus der Sänfte:


Verräther ist der Tag, die Scheelsucht wacht!

Vertraue dein Geheimniß nur der Nacht.


Der junge Mensch verstand den Wink und wollte ihn benutzen sobald es dunkel geworden war. Er machte den Versuch seine Schöne zu entführen, aber von seinen Gefährten entdeckt und eingeholt, ward er auf ein Kameel gebunden, und als ein Verbrecher mitgeführet bis an den Hof des Chalifen.

Merwan ließ sich die Sklavinnen vorführen und[30] überlas zugleich die Personsbeschreibung, welche ihm Hedschadsch eingesandt hatte. Bey den ersten beyden traf alles auf ein Haar ein; aber die dritte hatte nicht, wie es in der Beschreibung hieß, die Farbe der Rose, sondern war blaßgelb.

Was ist das? fragte der Chalife erzürnt die Sklavenhändler. Sie warfen sich ihm zu Füßen, baten in voraus um Gnade, und erzählten ihm dann die Liebesgeschichte des jungen Menschen. Des Chalifen Zorn gieng in Mitleid und Rührung über. Statt den Liebhaber als Majestätsverbrecher zu bestrafen, machte er ihm mit der Sklavin und allem ihrem Staate ein Geschenk.

Die Verliebten waren außer sich vor Freude und Entzücken. Sie durchschwärmten die Nacht in langen Umarmungen. Des Morgens fand man beyde todt einander in den Armen, das Uebermaaß der Leidenschaft hatte sie getödtet. Man erstattete hiervon Bericht dem Chalifen, der sich nicht wenig über dieses außerordentliche Abentheuer verwunderte, und gar nicht begreifen konnte, wie es möglich sey, aus Liebe zu sterben.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 28-31.
Lizenz:
Kategorien: