CXLIV.

[271] Ein Bürger von Kufa zankte sich eines Tages [Rand: Dschami. 1047.] ganz gewaltig mit seinem Nachbar. Man brachte die streitenden Partheyen auseinander und fragte sie um die Ursache ihres Zankes. – Weil mich die Leute einen Geizhals schelten, sprach der Eine, so kaufte ich um einen Pfennig einige Markbeine, sog das Mark aus und warf die Beine vor die Thür, damit die Leute sähen, daß ich gegessen, und mich mit ihren Spottreden verschonen sollten. Da kömmt der saubere Nachbar, und nimmt die Beine vor meiner Thür weg und legt sie vor die seinige hin, um sich in guten Leumund zu bringen, und mich in bösem zu erhalten. Nun sprechet Recht, Herr Richter. – Der Richter war der kompetenteste von der Welt, denn er wat selbst ein Geizhals, der es noch weiter gebracht hatte in der Kunst, als die beyden Partheyen. – Du, sagte er, zum Beklagten, hast gefehlt, fremdes Eigenthum dir zuzueignen, und die Beine vor des Nachbarn Thüre wegzunehmen; zur Strafe dafür sollen sie vor deiner liegen bleiben. Und du, o Blödsinniger, fuhr er fort, indem er sich zum Kläger wandte, begreifst du denn nicht, daß die Meinung der Leute: du äßest nichts, bey weitem die vorteilhaftere ist? So läufst du keine Gefahr, Gäste zu bekommen,[271] die sich bey deinem Nachbar einfinden können, wenn die Meinung gäng und gäbe wird, daß er Mahlzeit halte. So sey er bestraft für seinen Diebstahl.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 271-272.
Lizenz:
Kategorien: