CLI.

[277] Ein Juwelenhändler hatte für einen König einen [Rand: Dschami 960.] kostbaren Edelstein im Auslande erkauft, und reiste nun damit der Residenz zu. Vier andere Reisende gesellten sich auf dem Wege zu ihm, und einer davon stahl das Kleinod. Der Juwelenhändler gab sogleich bey seiner Ankunft dem Wesir hievon Kunde, und dieser ließ die vier Reisenden auf die Folter spannen, ohne daß er hierdurch den Thäter entdecken konnte. Im Hareme des Königs war ein Mädchen von großem Geist und vieler Beurtheilungskraft. Sie sah den König traurig an, ob des Kleinods Verlust, und erbot sich, den Thäter auszufinden, wenn man ihr[277] die vier Reisenden überlassen wollte. Dies geschah. Sie ließ ihnen die Ketten abnehmen, gab ihnen zu essen und zu trinken, und hieß sie guter Dinge seyn. Als ihnen der Wein ein wenig zu Kopfe gestiegen, und die Zunge gelöst war, sprach sie: Ich will euch eine Geschichte erzählen, über die ich mir euer Urtheil erbitte. Der Fall ist verwickelt und schwierig.

In einem alten Königreiche bestand ein altes Gesetz, daß, wer einer Prinzessin eine Rose darbrachte, von ihr begehren konnte, was er wollte. Ob die Seltenheit der Rosen, oder ein anderer verborgener Grund zu diesem Gesetze Anlaß gegeben, weiß ich nicht zu sagen; genug es bestand. Einem Gärtnerjungen wollte das Glück, daß er eine Rose brach, und dieselbe der Prinzessin, die sich eben im Garten befand, darbringen konnte.

Die Prinzessin war von gutherziger Natur, was ihr am Kopfe abgieng, ersetzte das Herz. Sie war zu gut, als daß sie eine Bitte hätte abschlagen, zu gewissenhaft, als daß sie eine Zusage hätte unerfüllt lassen sollen.

Der Gärtnerjunge begehrte von der Prinzessin dasjenige, was, wie die arabische Redensart sagt, die Männer insgemein begehren von den Frauen, und was diese niemals abschlagen, wenn sie lieben. – Vielleicht liebte die Prinzessin den schönen Gärtnerjungen; aber wenn auch nicht, so verbot ihr das Gesetz, dem Darbringer einer Rose seine Bitte abzuschlagen.[278] Kurz, sie versprach ihm die Gewährung derselben, sobald sie verehliget seyn würde; und wenige Monate nach ihrer Ehe entdeckte sie ihrem Gemahle, zu was sie sich gegen den Gärtnerjungen verpflichtet hätte. Der Gemahl war großmüthig oder gewissenhaft genug, seiner Frau die Erlaubniß zu geben, ihre Zusage zu erfüllen. Sie machte sich auf den Weg, und fand denselben bald versperrt durch einen Löwen. Sie grüßte ihn, und erzählte ihm umständlich den Beweggrund ihrer Reise. Der Löwe hatte ein viel zu zartes Gewissen, als die Schuld der Nichterfüllung eines feyerlichen Versprechens auf sich zu laden; er ließ sie gehen. – Sie war nicht weit fortgegangen, als ihr eine Stimme: Halt! wohin? – entgegen donnerte. Es war ein Räuber; der, von dem Glanze ihrer Edelsteine angelocket, sie ausziehen wollte. Die Prinzessin erzählte ihm ebenfalls, wie sie nur in jenen Garten hingienge, um dem Gärtnerjungen Wort zu halten; wenn sie ihr Versprechen erfüllt, möge er sie ausziehen, nur nicht zuvor. Der Räuber ließ sie ziehen, aus Achtung für's gegebene Wort. Nun kam sie zum Gärtnerjungen, der ganz erstaunt war, sie zu sehen, denn er hatte schon längst sein Begehren und ihr Versprechen vergessen. Er fiel ihr zu Füßen, bat um seine vormalige Unverschämtheit um Verzeihung, und schwor, er kenne zu gut die Schranken seiner Pflicht, als daß er die Güte der Prinzessin mißbrauchen wolle. Sie gieng und kam zum Räuber,[279] dem sie erzählte, was ihr geschehen, und sich seiner Diskretion überließ. Der Räuber, erbaut durch das großmüthige Beyspiel des Gärtnerjungen, machte sich ein Gewissen daraus, die Prinzessin zu berühren, und hieß sie weiter geben. Sie gieng und kam zum Löwen, dem sie ebenfalls getreuen Bericht abstattete. Ich will nicht, sprach der Löwe, vom Gärtnerjungen und vom Räuber übertroffen werden an Hoheit der Gesinnungen; ziehe freyen Weges.

Nun frag' ich euch: wer war der großmüthigste von diesen vieren? Der Mann, der so gelassen die Erlaubniß gab, zur Erfüllung eines so sonderbaren Versprechens, oder der Gärtner, der sich freywillig seiner Rechte begab, oder der Räuber, oder der Löwe, so die Prinzessin ungehindert passiren ließen?

Jeder von den vier Reisenden entschied für einen andern. Das Mädchen hinterbrachte dem König den Erfolg ihrer Untersuchung und sprach: Wer dem Manne den Vorzug giebt, kennt nicht was Eifersucht ist; wer sich für den Gärtner entscheidet, liebt gewiß etwas anders als Mädchen; der Vertheidiger des Löwen ist von harter, wilder Natur, und wer dem Räuber den Kranz zuwarf, hat gewiß das Kleinod gestohlen. Die Sache ward näher untersucht, und der scharfsinnige Ausspruch des Mädchens bewährt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 277-280.
Lizenz:
Kategorien: